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Ein handelsfeindliches Amerika?

CAMBRIDGE – Der zunehmende handelsfeindliche Populismus im laufenden US-Wahlkampf deutet auf einen gefährlichen Rückzug von der weltweiten Rolle der USA hin. Im Namen der Verringerung der Ungleichheit in den USA wollen Präsidentschaftskandidaten beider Parteien die Aspirationen von hunderten Millionen verzweifelt armer Menschen in den Entwicklungsländern auf einen Aufstieg in die Mittelschicht zunichtemachen. Erweist sich die politische Attraktivität einer handelsfeindlichen Politik als dauerhaft, markiert dies einen historischen Wendepunkt in weltwirtschaftlichen Angelegenheiten, der für die Zukunft der amerikanischen Führungsrolle nichts Gutes erwarten lässt.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump hat vorgeschlagen, chinesische Einfuhren in die USA mit einer Steuer von 45% zu belegen – ein Plan, der vielen Amerikanern gefällt, weil sie glauben, dass China durch unfaire Handelspraktiken reich wird. Doch bleibt China trotz seines außergewöhnlichen Erfolgs in den letzten Jahrzehnten ein Entwicklungsland, in dem ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung in einer Armut lebt, wie sie nach westlichen Standards unvorstellbar wäre.

Man betrachte Chinas neuen Fünfjahresplan, der darauf abzielt, bis 2020 55 Millionen Menschen über die Armutsgrenze zu heben – eine Schwelle, die auf lediglich 2.300 Yuan oder 354 Dollar pro Jahr festgelegt wurde. Im Vergleich hierzu beträgt die Armutsgrenze in den USA für eine Einzelperson rund 12.000 Dollar. Natürlich gibt es erhebliche Unterschiede bei den Lebenshaltungskosten, die direkte Vergleiche zweifelhaft erscheinen lassen, und natürlich ist Armut zumindest in den hochentwickelten Volkswirtschaften genauso sehr ein gesellschaftlicher wie ein wirtschaftlicher Zustand, doch die allgemeine Aussage, dass die Ungleichheit zwischen Ländern sehr viel höher ist als die Ungleichheit innerhalb von Ländern, ist bezwingend.

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