karabell3_ANDREW CABALLERO-REYNOLDSAFP via Getty Images_criticalracetheory Andrew Caballero-Reynolds/AFP via Getty Images

Amerikas missglückte Suche nach sich selbst

NEW YORK – Kürzlich machte der Podcaster-Provokateur Joe Rogan mit der Behauptung Schlagzeilen, wenn Amerika sich kulturell weiter so entwickle wie zu Zeit, dürften heterosexuelle weiße Männer „irgendwann nicht mehr vor die Tür gehen.“ Auf der anderen Seite verweigerte die University of North Carolina der Journalistin Nikole Hannah-Jones, die das einflussreiche, aber auch kontroversielle The 1619 Project der New York Times über die Geschichte der Sklaverei in Amerika geleitetet hatte und dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden war, eine Professur auf Lebenszeit. In einer weiteren Wendung entschied sich die historisch afroamerikanische Howard University, ihr Institut für klassische Altertumswissenschaften aufzulösen, was Cornel West, der an der an der Harvard University Philosophie lehrt, als „eine geistige Katastrophe“ bezeichnete.

Diese Schlagzeilen zeigen, dass die Amerikaner im heutigen Zeitalter der Wokeness auf die Frage, wer sie sind, bisher noch keine ausgewogene Antwort gefunden haben. Nur weil sie erkennen, dass die ererbten nationalen Erzählungen fehlerhaft und unvollständig sind, müssten sie ja nicht unbedingt ein einseitiges Narrativ durch ein anderes ersetzen. In einer idealen Welt könnten die Bürger der USA jeder Hautfarbe, ethnischen Herkunft und Klasse viele unterschiedliche Schichten der Vergangenheit in Ehren halten und diskutieren.

Nur haben viele Amerikaner das Problem, dass sie nur „woke“ sein können, wenn sie sich mit ihrem Weißsein auseinandersetzen. Obwohl die Vergangenheit der Vereinigten Staaten zum größten Teil weiß getüncht wurde, können die Amerikaner diese weiße Identität nicht einfach auslöschen oder als Problem behandeln, das gelöst werden muss. Wir können ein Ungleichgewicht nicht beseitigen, indem wir ein neues schaffen.

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