satyarthi7_Klaus Vedfelt_getty images_children KIaus Vedfelt/Getty Images

Der Schutz von Kindern entscheidet über Zukunftsfähigkeit

NEU-DELHI – Vom 24. bis 25. September werden die internationalen Staats- und Regierungschefs an einem Gipfel der Vereinten Nationen (UN) in New York teilnehmen, um die Fortschritte bei der Umsetzung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der UN zu erörtern. Dies wird der erste UN-Gipfel über die SDGs seit der Verabschiedung der Agenda 2030 im September 2015 sein. Seitdem haben wir gemeinsam Fortschritte in Richtung einer friedlicheren, sichereren, gesünderen und wohlhabenderen Welt gemacht. Leider sind wir aber gegenwärtig auf dem Weg, die meisten SDGs und Ziele im Zusammenhang mit Kindern zu verfehlen – ohne die die Verwirklichung der Agenda 2030 nur ein ferner Traum bleiben kann.

Heute sind weltweit rund 50 Millionen Kinder infolge von Flucht und Migration entwurzelt und ohne einen sicheren Ort. Rund 152 Millionen Kinder müssen arbeiten. Rund 262 Millionen Kinder und Jugendliche gehen nicht zur Schule. Fast 428 Millionen Kinder unter zehn Jahren leben in Armut. Das sind keine bloßen Zahlen. Das sind unsere Kinder, und es sind Menschen.

Die simple Fortsetzung der derzeitigen Bemühungen wird diese Zahlen nicht wesentlich verbessern. Um die Agenda 2030 wieder auf Kurs zu bringen, müssen die internationalen Staats- und Regierungschefs aufrichtig, mutig, verantwortungsvoll und mitfühlend sein, und ihre Regierungen und Organisationen müssen angemessen in unsere Kinder investieren.

Nach den oft schleppenden globalen Bemühungen, viele der früheren Millenniumsziele der UN zu erreichen, insbesondere in Bezug auf Kinder, Armut und Bildung, ruhen viele Hoffnungen auf den SDGs. Viele Aktivisten, mich eingeschlossen, haben hart daran gearbeitet, SDG 8.7 (das darauf abzielt, Kinderarbeit in all ihren Formen bis 2025 zu beenden) und andere Kinder betreffende Ziele in die Agenda 2030 aufzunehmen.

Aber wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, werden 2025 immer noch 121 Millionen Kinder arbeiten müssen. Im Jahr 2030 werden 225 Millionen Kinder und Jugendliche nicht zur Schule gehen, und 6 Prozent der Weltbevölkerung werden noch immer in extremer Armut leben. Das würde bedeuten, dass die Welt SDG 8.7, SDG 1 (Armut beenden) und SDG 4 (hochwertige Bildung) nicht erreicht, was Millionen von Kindern unvorstellbarer Gewalt und Ausbeutung aussetzt. Und jede verlorene Kindheit wird eine verpasste Chance für die Menschheit darstellen.

Obwohl viele Regierungen Fortschritte bei der Verwirklichung der SDGs vermeldet haben, picken sich einige lediglich einzelne Ziele heraus und nehmen wichtige Themen wie Kinderarbeit und Bildung nicht in die Liste ihrer Prioritäten auf. Da freiwillige nationale Berichte eindeutig nicht ihren Zweck erfüllen, brauchen wir jetzt verbindliche Berichte über die Fortschritte von Regierungen bei der Umsetzung aller SDGs, mit strengen Zielvorgaben, Fristen und Verantwortlichkeiten für alle Beteiligten. Die UN sollten von den Regierungen klare und konkrete Pläne verlangen (und diese dann unterstützen), mit dem Nachweis, dass sie ihre Verpflichtungen in Bezug auf alle Ziele im Zusammenhang mit Kindern umsetzen.

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Vor allem aber muss die Politik Maßnahmen ergreifen, um den Teufelskreis aus Kinderarbeit, Armut und Analphabetismus zu durchbrechen – das, was ich vor vielen Jahren das „Triangular Paradigm“ nannte. Jeder Kinderarbeiter nimmt den Platz eines Erwachsenen ein und ist gezwungen, Analphabet, ungelernt und arm zu bleiben. Dies führt zu generationenübergreifender Armut, die systematisch bekämpft werden muss.

Die UN, die Europäische Union, internationale Organisationen und nationale Regierungen sollten daher vier Hauptprioritäten festlegen. Erstens müssen sie mehr in Systeme der sozialen Sicherung für Erwachsene investieren, denn diese kommen auch eindeutig den Kindern zugute, die dann weniger gefährdet sind. Brasiliens Bolsa Família-Programm oder das Midday Meal-Programm und die Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee in Indien sind gute Beispiele dafür.

Zweitens sollten sich die politischen Entscheidungsträger bemühen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Erwachsene zu schaffen, damit Kinder ihre Kindheit in vollen Zügen genießen können. Sie sollten sich darauf konzentrieren, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, Ungleichheiten abzubauen, nationale Mindestlöhne einzuführen und sicherzustellen, dass Frauen bei gleicher Arbeit gleichen Lohn erhalten. Da über 60 Prozent der globalen Beschäftigung in der informellen Wirtschaft stattfindet, wird dies eine Herkulesaufgabe sein. Regierungen und Unternehmen müssen Schritte unternehmen, um die Wirtschaft zu formalisieren, damit öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden Rechte am Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen einführen und überwachen können.

Drittens müssen Regierungen mehr tun, um Jugendlichen die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln, die sie für einen problemlosen Übergang ins Arbeitsleben benötigen, wenn sie das erwerbsfähige Alter erreichen. Darüber hinaus sollten nationale und internationale Jugendgruppen auf allen Ebenen des SDG-Prozesses in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Zu guter Letzt sollten sich die internationalen Staats- und Regierungschefs in Erinnerung rufen, dass eine gute Bildung das perfekte Gegenmittel gegen Kinderarbeit und Armut ist. In vielen Entwicklungsländern fehlen heute nach wie vor die grundlegenden Infrastrukturen und Einrichtungen, um effektive Lernumgebungen zu schaffen, in denen Kinder sich gut entwickeln können. So haben etwa in afrikanischen Ländern südlich der Sahara weniger als die Hälfte der Grundschulen und unteren Sekundarstufen Zugang zu Strom, Internet, Computern und Trinkwasser.

Um das Ziel einer inklusiven, gleichberechtigten und hochwertigen Bildung für alle (SDG4) zu erreichen, müssen die jährlichen globalen Bildungsausgaben von derzeit 1,2 Billionen Dollar auf drei Billionen Dollar bis 2030 steigen. Dies erfordert zusätzliche multilaterale und privatwirtschaftliche Finanzierungen, insbesondere für Regierungen in ärmeren Ländern.

Meine größte Befürchtung ist, dass die SDGs ohne die notwendigen Mittel, den kollektiven politischen Willen und ein Gefühl der Dringlichkeit eine schön formulierte Charta der unerfüllten Wünsche bleiben werden. Aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass der Welt die Ressourcen oder die Fähigkeit fehlen, die Ziele zu erreichen – insbesondere in einem Jahr, in dem wir das hundertjährige Bestehen der Internationalen Arbeitsorganisation und den 30. Jahrestag der UN-Kinderrechtskonvention feiern.

Vor kurzem habe ich zusammen mit 29 weiteren Persönlichkeiten und Organisationen, die den Friedenspreis erhalten haben, am Gipfel der Friedensnobelpreisträger in Mexiko teilgenommen. Die anderen Preisträger teilen meine Auffassung, dass globale Zukunftsfähigkeit und Frieden nur möglich sind, wenn wir die Freiheit, Sicherheit und Bildung aller unserer Kinder gewährleisten.

Deshalb fordere ich die UN, die Regierungschefs und alle betroffenen Interessengruppen diese Woche in New York nachdrücklich auf, ihr Engagement für die Agenda 2030 und insbesondere für die Ziele in Bezug auf Kinder wieder erstarken zu lassen. Eine Welt, die ihre jüngsten Menschen nicht schützt, wird alles andere als zukunftsfähig sein.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

https://prosyn.org/gT47dkcde