British Guards marching in London Tim Graham/Getty Images

Großbritannien En Marche?

LONDON – Wir leben in politisch turbulenten Zeiten. Parteien, die kaum älter als ein Jahr sind, haben es kürzlich in Frankreich und in der riesigen Metropolregion Tokio an die Macht geschafft. In Italien führt eine weniger als fünf Jahre alte Partei in den Meinungsumfragen. Sehr zum Missvergnügen des republikanischen und demokratischen Establishments sitzt im Weißen Haus ein Politneuling. Wo wird nun also das nächste politische Erdbeben stattfinden? The Antwort könnte – und sollte eigentlich – lauten: in Großbritannien.

Obwohl Großbritannien vor Umwälzungen aufgrund des Brexit steht, spricht niemand über eine Neugestaltung der etablierten politischen Parteien – geschweige denn über deren Austausch. Vielfach wird auch geleugnet, dass man überhaupt darüber nachdenkt. Der ehemalige Premierminister Tony Blair – ein proeuropäischer, zentristischer Innovator, der in den 1990er Jahren für seine Labour Party drei Unterhauswahlen gewann – war in einem jüngst erschienenen Artikel sehr bemüht, zu betonen, „keine neue Partei zu befürworten.“  

Aber genau das sollte Blair oder jemand wie er tun. Obwohl das politische System Großbritanniens der Bildung neuer Parteien erhebliche Hindernisse in den Weg legt, sind die Aussichten auf Erfolg momentan besser als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den letzten 40 Jahren. Neueinsteigern bieten sich große Chancen in einem politischen System, in dem die Nachbeben zweier heftiger Erschütterungen noch immer spürbar sind  – nämlich des Brexit-Referendums von Juni 2016 und des demütigenden Rückschlags für die an der Spitze dieses Volksentscheids stehende Konservative Partei bei den Parlamentswahlen ein Jahr später.  

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