Es ist Zeit für Gespräche mit dem Iran

BERLIN – Der jüngst veröffentlichte umfassende Bericht der amerikanischen Geheimdienste über das Atomprogramm und die nuklearen Ambitionen des Iran – der so genannte „National Intelligence Estimate“ (NIE) – hat den Anstoß zu erneuten strategischen Diskussionen unter den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates und Deutschland gegeben. Diese strategische Neubewertung ist wahrscheinlich für diejenigen in der Bush-Administration (und für ein paar Personen anderswo) dringend notwendig, die sich noch bis vor kurzem als Propheten einer unmittelbar drohenden Gefahr betätigten.

Für die Europäer hat der NIE jene Befürchtungen, welche die EU-3 (Großbritannien, Frankreich und Deutschland) im Jahr 2003 auf den Plan riefen, eher bestätigt als ausgeräumt – wonach nämlich das iranische Atomprogramm dem Land letztlich zu nuklearen militärischen Kapazitäten verhelfen und vorher sogar noch eine nukleare Weiterverbreitung in der Region auslösen könnte.

Der NIE bestätigte auch zwei Annahmen, an denen sich der diplomatische Ansatz der Europäer bisher orientierte: Der Iran reagiert auf Anreize sowie auf Abschreckung und die Berücksichtigung legitimer iranischer Interessen ist die beste Methode, um die Führung des Iran zu beeinflussen. Die meisten mit dem Thema befassten Europäer gehen auch davon aus, dass der Iran eher darauf abzielt, sich letztlich alle Optionen, einschließlich der raschen Entwicklung einer Atomwaffe, offen zu lassen, als tatsächlich in den Besitz einer solchen Waffe zu gelangen, geschweige denn sie zu testen, und damit gegen den Nichtweiterverbreitungsvertrag zu verstoßen.

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