Die unmögliche Stärke des schwachen Dollars

Es war einmal eine Zeit, sie dauerte bis 1997, da war das amerikanische Leistungsbilanzdefizit relativ gering - es betrug gerade einmal 1 % des BIP. Seit damals stieg das Defizit jedoch dramatisch an. Im Jahr 1999 auf 2,7 % des BIP, 2001 auf 3,5 % und heuer werden es geschätzte 4,7 % sein. Für das Jahr 2004 ist keine Trendumkehr zu erwarten. Trotz der Voraussagen, wonach die amerikanische Wirtschaft wesentlich schneller wachsen wird, als die der meisten ihrer Handelspartner, wird ein Leistungsbilanzdefizit von 5,1 % des BIP erwartet.

Wie lange wird der Rest der Welt das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit noch finanzieren? Was passiert, wenn das einmal nicht mehr geschieht?

Es ist klar, dass Amerikas Leistungsbilanzdefizit auf Dauer nicht finanzierbar ist. Der verstorbene Ökonom und Berater von Richard Nixon, Herb Stein, pflegte zu sagen, wenn etwas dauerhaft nicht finanzierbar ist, dann ist auch eines Tages Schluss damit. Ich glaubte immer, das amerikanische Leistungsbilanzdefizit würde sich verringern, wenn der Rest der Welt ,,aufholen" würde - wenn Japan sich von seiner jahrzehntelangen Stagnation erholt und Westeuropa seine Wirtschaft restrukturiert, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigert und die Arbeitslosenrate auf ein vertretbares Maß reduziert. Aber mit jedem Jahr wird dieses ,,Aufholen" - rasches Wachstum im Rest der Welt und damit verbundenes rasches Ansteigen der Nachfrage nach US-Exporten - unwahrscheinlicher.

Die andere Möglichkeit dem Leistungsbilanzdefizit ein Ende zu bereiten, wäre die Kapitalzuflüsse nach Amerika zu stoppen. Der verstorbene Ökonom Rudi Dornbusch (mein Vorgänger als Verfasser dieser Artikelreihe) meinte, dass untragbare Kapitalzuflüsse immer länger anhielten, als dies die streng auf die theoretischen Prinzipien fixierten Ökonomen für möglich hielten. Die Finanziers dieser Kapitalzuflüsse und das Empfängerland erfinden laufend neue Gründe, warum der Kapitalzufluss diesmal noch tragbar ist - weil man an die mutmaßliche Veränderung ökonomischer Grundsätze glaubt.

Diese Massentäuschung, so Dornbusch, hält den Finanzzufluss noch lange nach seinem bereits erwarteten Ende aufrecht. Wenn er allerdings zum Erliegen kommt, werden alle von der Geschwindigkeit überrascht, mit der dies geschieht - sogar die prinzipienorientierten Ökonomen.

Wenn diese Kapitalflussumkehr die USA trifft, so ist klar, dass der Dollar zwischen 25-50 % an Wert einbüßen wird. Das exakte Ausmaß hängt davon ab, wie schnell sich die amerikanischen Verbraucher von importierten Gütern auf amerikanische Produkte umstellen und wie hoch die erwartete Erholung des Dollars ausfällt, die nötig ist, um Investoren dazu zu bringen, ihre amerikanischen Assets während der Umstellungsphase zu halten.

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Die Währungskrisen in Mexiko 1995, in Ostasien in den Jahren 1997 und 1998 und in Argentinien im Jahr 2002 verursachten ungeheure Belastungen: als die Wechselkurse fielen, vervielfachte sich der Wert der in einheimischer Währung festgelegten, aber an den Dollarkurs gebundenen Schulden, wodurch sich auch die Gefahr eines nationalen Bankrotts erhöhte. Tiefe Rezessionen, hohe Realzinssätze und finanzielles Chaos standen auf der Tagesordnung - obwohl Persönlichkeiten wie der damalige amerikanische Finanzminister Robert Rubin, sowie Michel Camdessus und Stanley Fischer vom IWF und zahlreiche mexikanische und ostasiatische Politiker und Zentralbankchefs geschickt verhinderten, dass zumindest die Krisen in Mexiko und Ostasien ihr volles Zerstörungspotenzial entfalten konnten.

Wenn allerdings der Dollarkurs abrupt fällt, werden die USA einen anderen Weg einschlagen. Ebenso wie in Mexiko, Ostasien und Argentinien sind die amerikanischen Auslandsschulden größtenteils Schulden in Dollar. Aber im Gegensatz zu Mexiko, Ostasien und Argentinien ist der Dollar die amerikanische Währung. Und im Gegensatz zu anderen Ländern, verringert ein Wertverlust des Dollars den realen Wert der Bruttoauschlandsschulden Amerikas..

Ein Kurssturz des Dollar würde zwar den Lebensstandard der Amerikaner vermindern, aber keine Liquiditäts- oder Solvenzkrise auslösen, wie wir sie in den letzten zehn Jahren so oft gesehen haben - zumindest nicht, wenn die wichtigsten Finanzinstitutionen in New York über gut abgesicherte Derivate verfügen. Wenn das nicht der Fall ist, können weitere Voraussagen nicht getroffen werden. Daher sollte ein Ende der Kapitalzuflüsse in die USA keine Besorgnis über Liquiditäts- und Finanzkrisen auslösen, die in Mexiko und Ostasien zu Rezessionen und in Argentinien zu einer tiefen Depression führten.

Durch die Währungskrisen in Mexiko, Ostasien und Argentinien verarmten in erster Linie Arbeitnehmer, die ihre Jobs verloren, diejenigen, deren Hartwährungsschulden plötzlich explodierten und Investoren aus reichen Ländern, die sich in Verhandlungen mit insolventen Kreditnehmern wiederfanden. Eine rapide Entwertung des Dollars hätte wahrscheinlich andere Auswirkungen: Dadurch würden Arbeitnehmer verarmen, deren Produkte nach Amerika exportiert werden und Investoren, die zusehen müssten wie der Wert ihrer Dollar-Portefeuilles dahinschmilzt. Amerikaner, die importierte Waren konsumieren oder in Firmen arbeiten, die Importprodukte vertreiben, wären von einer Dollarabwertung erst in zweiter Linie betroffen.

Warum halten also die Kapitalzuflüsse nach Amerika an, obwohl es keine Bedenken hinsichtlich der Solvenz gibt? Investoren außerhalb der Vereinigten Staaten erkennen das Ausmaß des Handelsbilanzdefizits, berechnen den wahrscheinlichen Kursverlust des Dollars, der nötig ist, um das Defizit zu eliminieren und kommen drauf, dass der Zinssatz und die Unterschiede in der Eigenkapitalrendite ihrer Investitionen in den USA nicht ausreichen, um das Risiko eventuell im nächsten Monat verminderter Kapitalzuflüsse abzudecken. Die Tatsache, dass ein großer Teil des mit einem Verfall des Dollars verbundenen Risikos von denjenigen zu tragen ist, die in Amerika investieren, ist der Grund, warum der Kapitalzufluss nach Amerika schon viel länger andauert, als das prinzipienorientierte Ökonomen - wie auch ich - für möglich gehalten hätten.

Mit welchen Geschichten rechtfertigt man sich in Investorenkreisen weit weg von Amerika, warum man sich weiterhin der Gefahr einer Dollarabwertung aussetzt? Wir wissen, dass Investoren diese Geschichten eines Tages selbst nicht mehr glauben werden und wir wissen, was in diesem Fall passieren wird. Aber kein Ökonom ist in der Lage zu sagen, ,,wann" das sein wird.

https://prosyn.org/oSHym1dde