Die Schleier-Kriege

Überall in der Welt feiert die Verschleierung ein Comeback. Ob sie nun in Schals gehüllt sind, die nur den Kopf bedecken (die so genannten „Hijabs“), in Tücher, die das Gesicht und den Kopf verhüllen („Tschador“ und „Burqa“), oder aber in Textilien, die den gesamten Körper verdecken: Verschleierte Frauen können gegenwärtig an allen möglichen öffentlichen Orten gesichtet werden – angefangen von öffentlichen Schulen und Universitäten bis hin zu Parlamenten.

Wie kommt es zu diesem Aufleben? Obwohl der Schleier angeblich in der Tradition begründet liegt, scheint sein Wiederauftauchen eine Reaktion auf die heutige soziale und politische Instabilität zu sein. In Afghanistan und anderen Teilen Asiens hat der Zusammenbruch des Kommunismus, ebenso wie der Sturz des Schahs im Iran, ein Ansteigen der religiösen Orthodoxie angeregt. In Ägypten und Saudi-Arabien, sogar im gesamten Mittleren Osten, hat das Aufleben der Verschleierung zahlreiche Ursachen: Manche behaupten, dass die Verschleierung aus der arabischen Niederlage im 6-Tage-Krieg gegen Israel 1967 hervorging; andere wiederum sagen, dass alles mit der Desintegration des Traumes von der arabischen Einheit anfing.

Diese Verbindung zur Politik deutet noch stärker darauf hin, dass es sich bei der Praxis der Verschleierung (findet diese im Koran doch kaum Erwähnung) um eine soziale und religiöse Auslegung handelt: Die Verschleierung ermöglicht die Schaffung einer unverzüglichen neuen politischen Identität – eine Art „augenblicklicher Tradition“ –, die sich insbesondere dann als wirksam erweist, wenn der Schleier mittels öffentlicher Sanktionen erzwungen wird. Diese Sanktionen können sowohl von oben nach unten zielen – das heißt durch die Regierung oder durch Verordnungen, die die islamischen Lehrsätze neu interpretieren –, als auch von unten nach oben durch kommunale Normen und sozialen Druck.

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