Das merkwürdige Ende des Multikulturalismus

Eine Ideologie, die verlangt, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen innerhalb eines Landes in getrennten Gemeinschaften leben müssen, keinerlei Interesse aneinander zu zeigen haben und sich gegenseitig auch nicht kritisieren dürfen, ist sowohl falsch als auch unbrauchbar. Die etwas besonneneren Verfechter des Multikulturalismus haben natürlich nie daran gedacht, dass eine Kulturgemeinschaft eine politische Gemeinschaft ersetzen könnte oder sollte. Sie waren der Meinung, dass eine einzige, für alle Bürger geltende Wertehierarchie nicht nötig sei, solange sich jeder an die Gesetze hält.

Vor allem in den 1970er und 1980er Jahren war das Ideal des Multikulturalismus im eigenen Land von einer Ideologie des kulturellen Relativismus gegenüber anderen Ländern begleitet. Still und heimlich entwickelte sich dies zu einer Form des moralischen Rassismus, wonach weiße Europäer eine liberale Demokratie verdient hätten, während Menschen anderer Kulturen darauf warten müssten. Afrikanische Diktatoren mögen Fürchterliches anrichten, aber irgendwie wurden sie nicht zur Zielscheibe der Verachtung vieler europäischer Intellektueller, denn Kritik implizierte kulturelle Arroganz.

Die Niederlande, wo ich geboren wurde, sind vielleicht mehr als jedes andere Land durch die Debatte um den Multikulturalismus gespalten. Der Mord an dem Filmemacher Theo van Gogh vor zweieinhalb Jahren durch einen islamistischen Attentäter hat eine kontroverse Debatte über die im Land tief verankerte Kultur der Toleranz und der offenen Asylpolitik ausgelöst.

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