pa3725c.jpg7212ba0346f86fa80f063d12 Paul Lachine

Die Grundzüge des chinesischen Verhaltens

PEKING – Vor sechs Jahrzehnten verfasste der amerikanische Diplomat George Kennan den Artikel „The Sources of Soviet Conduct“ (Grundzüge des sowjetischen Verhaltens), der die Meinung Amerikas und der Welt prägte und sie bald zu der rigiden Haltung des Kalten Krieges verhärtete. Angesichts Chinas entscheidenden Einflusses auf die Weltwirtschaft und seiner zunehmenden Fähigkeit, seine Militärmacht in die Waagschale zu werfen, ist es in den internationalen Beziehungen heute von zentraler Bedeutung, die Grundzüge des chinesischen Verhaltens zu verstehen. So könnte unter anderem ein besseres Verständnis der Beweggründe für Chinas Außenpolitik verhindern, dass die Beziehungen zwischen China und den Vereinigten Staaten sich zu einer rigiden und feindlichen Haltung verhärten.

Seit 2008 haben sich die Diskussionen der chinesischen Gelehrten und Strategen über das Wesen der Außenpolitik ihres Landes auf zwei Fragen konzentriert: die ideologischen Grundlagen und Chinas Ansehen und Status international – seine „weiche Macht“ (soft power).

Die gedankliche Hauptströmung, die als Chinesische Schule bekannt ist, besteht zusammen mit der Regierung darauf, das Grundprinzip der chinesischen Außenpolitik sei der „Marxismus chinesischer Prägung“. Doch argumentiert eine Minderheit, China solle sich stattdessen auf das traditionelle politische Denken des Landes verlassen, und betont den universellen Wert der traditionellen chinesischen Philosophie. Obwohl der People’s Daily, die offizielle Zeitung der Kommunistischen Partei Chinas, diese Position durchweg angreift, hat die Partei selbst Konfuzius, die zentrale Figur des traditionellen chinesischen Denkens, rehabilitiert und ist so weit gegangen, eine Statue von ihm auf dem Platz des Himmlischen Friedens aufzustellen.

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