Der Weg bis zur Entdeckung der DNA-Doppelhelix

Vor fünfzig Jahren, am 25. April 1953, veröffentlichten James Watson und Francis Crick im Wissenschaftsmagazin Nature einen kurzen Artikel. Darin wurde die bemerkenswerte Struktur der DNA - des genetischen Materials lebender Organismen - in Form einer Doppelhelix beschrieben. Dieses Modell war der Schlüssel zum Verständnis der Zellteilung und der Informationsspeicherung in den Genen zur Proteinsynthese.

Zwei Monate später erfolgte der zweite wissenschaftliche Durchbruch, als Max Perutz eine Methode zur Strukturaufklärung großer Moleküle wie Myoglobin und Hämoglobin entwickelte. Seit damals hilft uns die Röntgenstrukturanalyse von Eiweißmolekülen die Chemie biologischer Reaktionen zu verstehen.

Sowohl die Struktur der DNA als auch die der Proteine wurden am Cavendish Laboratory der Universität Cambridge entschlüsselt. Warum aber wurden diese, die Biologie und Medizin in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts revolutionierenden Entdeckungen, in einem britischen Physik labor gemacht?

Die bahnbrechenden Erfolge des Jahres 1953 beruhten auf der im späten 19. Jahrhundert beginnenden berühmten Tradition der Experimentalphysik in Cambridge. Dieses Vermächtnis war die Grundlage des intellektuellen Klimas in dem das Vater-Sohn-Team William und Lawrence Bragg ausgebildet wurden und wo Lawrence Bragg--zunächst als Student und später als Doktorand - 1912 seine Vorstellungen formulierte, die später zur Röntgenstrukturanalyse führten.

Obwohl bereits Max von Laue, Walter Friedrich und Paul Knipping die Beugung von Röntgenstrahlen in Kristallen entdeckt hatten, war es Lawrence Bragg, der diese Erkenntnis wissenschaftlich zu verwerten wusste. Die Reflexion an den ,,Bragg-Ebenen" - einzelne Atomlagen, an denen einfallende Röntgenstrahlen in bestimmten Winkeln gebeugt werden, deren Größe vom Abstand der Atomlagen bestimmt ist - ermöglichte den Braggs die Berechnung der exakten Anordnung von Natrium- und Chloratomen in einem Salzkristall.

William Bragg schloss sein Mathematikstudium 1884 in Cambridge ab und ging nach Australien, wo er in Adelaide Professor für Physik wurde. 1909 kehrte er nach Großbritannien zurück. In Leeds übernahm er einen Lehrstuhl und führte seine Arbeit über die Natur von Röntgenstrahlen fort. Im Jahr 1923 wurde zum Leiter der Royal Institution in London bestellt. Dorthin folgten ihm einige hervorragende junge Wissenschafter, die sich für seine Arbeit mit Röntgenstrahlen interessierten. Unter ihnen befanden sich zwei junge Cambridge-Absolventen, nämlich William Astbury und John Desmond Bernal, die sich beide für das Problem der Proteinstruktur interessierten - Astbury deshalb, weil er von Bragg gebeten wurde, Röntgendiagramme von Wolle und Seide anzufertigen.

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1927 kehrte Bernal als Dozent für Strukturkristallographie nach Cambridge zurück und wurde 1931 zum stellvertretenden Forschungsleiter der Abteilung für Kristallographie ernannt, die damals zum Cavendish Laboratory gehörte. Bernals wissenschaftliches Hauptinteresse galt ursprünglich der Atomstruktur von Kristallen, Metallen und Mineralien. Später wandte er sich der Struktur von Hormonen und Sterinen und einigen Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine, zu.

Unterdessen ging Astbury 1928 nach Leeds, wo auch er begann mit Aminosäuren und Proteinen zu arbeiten. Er beschrieb seine erfolglosen Versuche gut strukturierte Röntgenbeugemuster von Kristallen des Proteins Pepsin zu erhalten. Schließlich wandte er sich an Bernal mit der Bitte, ob er ihm helfen könnte, Kristalle von anderen Proteinen zu bekommen. Zufällig war Glenn Millikan, ein Freund Bernals, gerade in einem Forschungslabor in Uppsala, wo man große Pepsinkristalle zur Verfügung hatte. Er brachte einige dieser Kristalle noch in der Mutterlauge mit nach Cambridge.

Ebenso wie bei Astbury waren auch die Beugemuster von trockenen Kristallen, die Bernal und Dorothy Crowfoot (später Hodgkin) erhielten, von enttäuschender Qualität. Aber als Bernal die Kristalle in einem Lichtmikroskop betrachtete, fiel ihm auf, dass eine große Menge Wasser in den Kristallgittern verdampft war und die Gitter daher ihre Regelmäßigkeit verloren hatten. Sie wiederholten ihr Experiment mit den Röntgenstrahlen, aber diesmal beließen sie die Kristalle in der Mutterlauge und schlossen sie in einer Glaskapillare ein. Das Ergebnis waren Beugemuster mit zahlreichen Reflexionen der Kristalle.

Die Ergebnisse dieses entscheidenden Experiments in der Proteinkristallographie wurden 1934 in einem Artikel im Magazin Nature veröffentlicht. Nachdem Astbury aus diesem Ergebnis die Anwesenheit von Polypeptidketten abgeleitet hatte, begann er seine wegbereitenden Studien über ihre Konfiguration in Faserproteinen. Es gelang ihm auch, die ersten Röntgenbeugemuster von teilweise ausgerichteten DNA-Proben zu erhalten.

Nach Abschluss seines Chemiestudiums in Wien kam 1935 Max Perutz nach Cambridge, um als Doktorand bei Bernal zu arbeiten. Im Jahr darauf stellte man ihm Hämoglobinkristalle von exzellenter Qualität zur Verfügung und Perutz lieferte die bis dato besten Röntgenbeugemuster. Die sichtbaren Beugemuster - Intensitäten und Positionen der jeweiligen Reflexionen - liefern allerdings nur die Hälfte jener Daten, die man benötigt, um die Struktur des beugenden Objekts zu bestimmen. Mathematisch ausgedrückt könnte man sagen, man bekommt nur die Amplitude, aber nicht die Phasen - d.h. die Stadien einer oszillatorischen Bewegung - ohne die aber die Positionen der Atome nicht bestimmt werden können.

Bei einfacheren Strukturen mit einer kleinen Anzahl von Atomen konnte die Chemie wertvolle Ansätze zur Bestimmung der Anordnung von Atomen liefern und so wurden Lösungen oftmals durch Ausprobieren gefunden. Bei Proteinen allerdings, die Tausende von Atomen enthalten, scheiterte man mit dieser Methode. Trotz der enormen Menge an hervorragenden Daten, waren Ergebnisse also in quälend weiter Ferne.

Dennoch gab man die Hoffnung nicht auf, dass die Proteinstruktur mittels Röntgenbeugemuster irgendwie aufzuklären sein müsste. So war es nur natürlich, dass dort wo die Chemie an ihre Grenzen stieß, die Physik - mit ihrem hervorragendsten Labor - einsprang und den Weg nach vorne wies. Ein Weg, den Watson und Crick beschritten und der sie zu dem epochemachenden Durchbruch führte, den wir in diesem Monat feiern.

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