4ed9440346f86f400c2d3b04_dr4370c.jpg

Die Revolte der Meritokraten

PARIS – Die Rettung des Finanzsystems war ein merkwürdiger Moment in der Wirtschaftsgeschichte, da dabei diejenigen begünstigt wurden, die am meisten vom irrationalen Überschwang des Marktes profitiert haben: die Bosse von Finanzunternehmen. Bevor die Krise begann, wurde jedoch die Umverteilung von Vermögen (und die Steuern und Sozialversicherungsleistungen, die diese ermöglichen) als größtes Hindernis für wirtschaftliche Effizienz angesehen. So wurden die Werte der Solidarität durch die der individuellen „Leistung“ verdrängt, die nach der Höhe des Gehaltsschecks beurteilt wird.

Das Paradoxe daran ist, dass sich ein Teil dieser Entwicklung auf zwei positive Faktoren zurückführen lässt: das langsame Wirken der Demokratie, die den Einzelnen befreit, ihn aber gleichzeitig stärker isoliert; und die Entwicklung eines Sozialsystems, das Risiken verteilt und dem Einzelnen mehr Autonomie gibt. Aufgrund dieser Isolation und Autonomie glauben die Menschen immer mehr, dass sie allein für ihr eigenes Schicksal verantwortlich sind – mit allen Vor- und Nachteilen.

Hier liegt das Problem. Frei und autonom ist ein Individuum nur aufgrund der kollektiven Entscheidungen, die nach demokratischer Debatte getroffen werden, insbesondere jenen Entscheidungen, die jeder Person den Zugang zu allgemeinen Vorteilen wie Bildung, Gesundheitsfürsorge usw. sichern. Es mag zwar ein gewisses Solidaritätsgefühl bestehen bleiben, aber dieses ist so abstrakt, dass diejenigen, für die sich das Glücksrad so vorteilhaft gedreht hat, nur eine geringe Verpflichtung empfinden. Sie glauben, sie verdankten ihren Status allein ihrer Leistung, nicht den kollektiven Bemühungen – staatlich finanzierten Schulen, Universitäten usw. –, die sie in die Lage versetzt haben, ihr Potenzial auszuschöpfen.

https://prosyn.org/mpeFabSde