Die lateinische Andersartigkeit

PRINCETON – Es kommt zunehmend in Mode, Europa als duales System zu betrachten. So kokettiert der französische Präsident François Hollande ständig mit der Idee, einen neuen lateinischen Block aufzubauen, innerhalb dessen sich Spanien und Italien Frankreich im Kampf gegen die Sparpolitik anschließen. Aus dieser Perspektive  besteht die lateinische Überlegenheit  in einer erweiterten Sicht der staatlichen Möglichkeiten, Einkommen zu sichern und Wohlstand zu schaffen und die „protestantische“ Obsession von der Arbeit des Einzelnen weniger in den Blickpunkt zu stellen.

Diese Vorstellung ist nicht ganz neu. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben betonte kürzlich, dass sie zu Beginn der Nachkriegszeit entstand. Im August 1945 übermittelte der französische Intellektuelle Alexandre Kojève General Charles de Gaulle einen Entwurf zu einer neuen Außenpolitik, die auf einem „dritten Weg“ zwischen dem anglo-amerikanischen Kapitalismus und dem sowjetisch-slawischen Marxismus gründete.

Doch es bestehen noch ältere Formen der französischen Vision von Europa. Mitte des 19. Jahrhunderts schuf der französische Kaiser Napoleon III. eine lateinische Münzunion, der Belgien, Italien und die Schweiz angehörten. Napoleon sah dieses System als mögliche Grundlage für eine weltweite Einheitswährung.

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