23154c0446f86f380ea47027_pa1456c.jpg Paul Lachine

Den Kampf gegen den Hunger entschlossen angehen

BRÜSSEL - Dieses Jahr ist wahrlich nicht arm an Gipfelereignissen. Der Welternährungsgipfel, der vom 16. bis 18. November in Rom stattfindet, könnte darüber leicht aus dem Blick geraten. Damit täte man diesem Ereignis aber unrecht, denn der Gipfel setzt drei eng miteinander verknüpfte Themen endlich wieder auf die politische Tagesordnung, die zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit zählen: Ernährungssicherheit, Artenvielfalt und Klimawandel.

Wir alle sind gemeinsam im Begriff, den Kampf gegen den Hunger in der Welt zu verlieren.  Über eine Milliarde Menschen auf diesem Planeten können heute ihren täglichen Nahrungsmittel-Grundbedarf nicht decken, und in den Entwicklungsländern verschlechtert sich die Lage ständig. 

Dieser Umstand ist schon für sich genommen völlig inakzeptabel. Wie kann es sein, dass wir im 21. Jahrhundert zwar in der Lage sind, Leute auf den Mond und wieder zurück zu transportieren, aber nicht alle Menschen auf diesem Planeten ernähren können?  Die politisch Verantwortlichen müssen aber auch erkennen, dass der Nahrungsmittelmangel eng mit den langfristigen Folgen der Wirtschaftskrise und dem anhaltenden Klimawandel verknüpft ist und eine Bedrohung für die Weltgemeinschaft darstellt.

Der Fairness halber sollte nicht verschwiegen werden, dass die führenden Politiker durchaus reagiert haben. Auf dem G8-Gipfel in L'Aquila haben wir vor kurzem beschlossen, im notwendigen Umfang und mit der erforderlichen Dringlichkeit zu handeln, um die weltweite Ernährungssicherheit zu gewährleisten, und dafür 20 Mrd. USD über einen Zeitraum von drei Jahren bereitgestellt. Das ist ein beachtliches Engagement, reicht aber möglicherweise nicht aus – weitere Anstrengungen sind erforderlich, um die landwirtschaftliche Erzeugung zu erhöhen, das Potenzial des Welthandels zur Bekämpfung des Nahrungsmittelmangels freizusetzen und mit den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft umzugehen. 

Auch die Europäische Kommission hat reagiert und setzt eine ganze Reihe von Instrumenten ein, um Maßnahmen zur Ernährungssicherung zu finanzieren. In der im vergangenen Jahr vereinbarten Nahrungsmittelfazilität der Europäischen Union werden eineinhalb Milliarden Euro zusätzlich für ein schnelles Eingreifen bei steigenden Nahrungsmittelpreisen bereitgestellt. Weitere vier Milliarden Dollar werden in den kommenden drei Jahren in Maßnahmen anderer Länder für die Verbesserung der Ernährungssicherheit und die Anpassung an die klimatischen Veränderungen fließen. 

Zusätzliche Mittel für die Ernährungssicherheit bilden einen - wesentlichen - Bestandteil des Finanzpakets, das die EU im Hinblick auf das andere wichtige Gipfelereignis dieses Jahres mit Nachdruck unterstützt: die Weltklimakonferenz in Kopenhagen im Dezember. Nur mit Hilfe substanzieller Investitionen werden die Landwirte in der Lage sein, sich an die Veränderung der Wetterbedingungen und die immer heftigeren und häufigeren Extremwetterlagen anzupassen. Diese Veränderungen treffen die ärmsten Bevölkerungen besonders hart, und hinter einer generellen weltweiten Entwicklung verbergen sich tiefgreifende regionale Unterschiede.

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Die Kleinbauern vor allem in den Entwicklungsländern werden am stärksten unter den klimatischen Veränderungen zu leiden haben. Wenn wir nicht rasch handeln, werden in den 40 ärmsten Ländern vor allem im Afrika südlich der Sahara und in Lateinamerika bis 2080 zwischen 10% und 20% der Anbaukapazitäten der Trockenheit zum Opfer fallen.  

Dabei stehen uns Lösungen zur Verfügung. Die Bedeutung der Artenvielfalt wird häufig unzureichend verstanden. Daher haben wir ihren Beitrag zur Bewältigung der globalen Herausforderungen bislang unterschätzt. Je größer die Vielfalt der Arten ist, desto stabiler und widerstandsfähiger ist das Ökosystem gegenüber Störeinflüssen.

Artenvielfalt kann als natürliche „Versicherung“ gegen plötzliche Umweltveränderungen und als Puffer bei durch sie (oder Schädlinge oder Krankheiten) verursachten Ernteausfällen wirken. Biologische Vielfalt ist für eine zuverlässige, stabile und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion unerlässlich. Die Hungersnöte in Irland im neunzehnten und in Äthiopien im späten zwanzigsten Jahrhundert zeigen ganz eindeutig, wie anfällig biologisch eintönige Kulturpflanzen für Umweltveränderungen sind und welche dramatischen Auswirkungen dies für die Bevölkerung haben kann.

Anbauvielfalt kann auch für das Ökosystem von großem Nutzen sein. So können gegen Dürre und Überschwemmungen resistente Sorten nicht nur zu Produktivitätserhöhungen beitragen, sondern auch Bodenerosion und Wüstenbildung verhindern. Im Süden Ghanas beispielsweise ist es den Kleinbauern gelungen, ihre durch unregelmäßige Niederschläge verursachten Ernteeinbußen zu verringern, indem sie mehrere dürreresistente Arten der gleichen Pflanze angebaut haben. Außerdem konnte dank der Diversifizierung der Kulturpflanzen der Bedarf an kostspieligen und umweltschädlichen Pestiziden verringert werden.

Ich bin überzeugt, dass wir der Artenvielfalt einen größeren Stellenwert bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Ernährungsunsicherheit zuweisen und ihnen auf höherer Ebene größere Bedeutung beimessen sollten.

Ich hoffe, dass wir uns nächste Woche, beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Rom, auf die Schlüsselprioritäten bei der Bekämpfung von Hunger und Ernährungsunsicherheit und insbesondere auf eine allgemein anerkannte Autorität zur Beratung der Regierungen und internationalen Einrichtungen in Fragen der Ernährungssicherung verständigen werden. Wir brauchen zur Gewährleistung der Ernährungssicherung ein wissenschaftsgestütztes Schnellwarnsystem, wie es das von den Vereinten Nationen eingerichtete Gremium für Klimaveränderungen geschaffen hat. Zu Beginn meiner neuen fünfjährigen Amtszeit bei der Europäischen Kommission werde ich alles in meinen Kräften Stehende tun, um dieses wichtige Thema voranzubringen.

Doch auch die beste und auf den neuesten Erkenntnissen beruhende Geberpolitik kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Regierungen in den entwickelten Ländern ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen und wenn sie die weltweiten Agrarinvestitionen erhöhen.

Der Welternährungsgipfel möge einen greifbaren Beweis dafür liefern, dass alle Staaten sich dem gemeinsamen Ziel verpflichten, eine Welt zu schaffen, in der niemand Hunger leiden muss. Gelingt uns das nicht, werden wir uns vor der Geschichte zu verantworten haben.

https://prosyn.org/qSdRAEXde