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Das antifragile Leben der Ökonomie

PARIS – Biologie und Ökonomie stehen vor ähnlichen Herausforderungen: In beiden Disziplinen wird versucht, Überleben und Innovation in einer unvorhersehbaren Welt zu erklären. So stellte beispielsweise Nassim Taleb, der mit seiner weitblickenden Beschreibung so genannter „Schwarzer-Schwan-Ereignisse“ im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Katastrophen berühmt wurde, vor kurzem sein Konzept der „Anti-Fragilität“ als Möglichkeit vor, die Vervielfältigung von Märkten und Produktion angesichts solcher Ereignisse begrifflich zu fassen. Tatsächlich finden sich antifragile Strukturen und Prozesse überall um uns herum – sie durchdringen das Leben selbst.

Um Anti-Fragilität zu definieren, stellt Taleb die Frage nach dem wahren Gegenteil von „fragil“.  Ausgehend vom Schwert des Damokles, entschließt sich Taleb, der Fragilität nicht die Robustheit des Phönix aus der Asche gegenüberzustellen, sondern den Erfindungsreichtum der Hydra, der immer zwei Köpfe nachwachsen, wenn einer abgeschlagen wurde. Sind Einheiten vorstellbar, die dem Zahn der Zeit nicht nur widerstehen, sondern durch Neuschaffung und Rekombination neuer Bestandteile in der Lage sind, eine unvorhersehbare Zukunft zu bewältigen?

Die Zwangsläufigkeit des Todes scheint ein Indiz dafür zu sein, dass das Leben nicht als antifragil konzipiert ist. Aber man denke an König Mithridates VI von Pontos, der jeden Tag eine winzige Dosis Gift einnahm, um sich vor der Vergiftung durch seine Feinde zu schützen. In der Vorstellung, dass Systeme leistungsfähiger werden, wenn sie regelmäßig einer geringen Dosis Gift oder anderen gefährlichen Einflüssen ausgesetzt sind, liegt der Ursprung einer hitzigen Debatte darüber, ob ein geringes Maß an Strahlung dem menschlichen Körper eher nützt als schadet.

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