Anmerkungen zur Steuergerechtigkeit

Seit den Tagen von Ronald Reagan und Margaret Thatcher ist die Senkung von Steuern das Glaubensbekenntnis der freien Marktwirtschaft. Heute stimmen andere, wie der französische Präsident Jacques Chirac, Edmund Stoiber in Deutschland und sogar die schwedischen Sozialisten in den Chor derjenigen mit ein, die niedrigere Steuersätze fordern. Das Hauptargument zur Rechtfertigung von Steuersenkungen ist eine größere wirtschaftliche Effizienz, aber verworrene Ansprüche auf "Steuergerechtigkeit" haben auch schon immer eine Rolle gespielt. Überraschenderweise sind die Verfechter von Steuersenkungen ebenso in dieser Verworrenheit befangen wie ihre Gegner.

Steuern sind das wichtigste Instrument einer Gesellschaft, ihre allgemeine Vorstellung von Gerechtigkeit umzusetzen. Aber die meisten Debatten über Steuergerechtigkeit beschränken sich auf die Formulierung widersprüchlicher Forderungen in Bezug auf die gerechteste Verteilung der Steuerlast unter die verschiedenen Einkommensklassen. Dieser Ansatz ist hoffnungslos kurzsichtig, weil es unmöglich ist, die Gerechtigkeit einer Lastverteilung nach Einkommen festzulegen, wenn diese Verteilung getrennt von den Werten betrachtet wird, die eine Gesellschaft schätzt und bewahren will.

Nehmen wir als Beispiel die Kontroverse darüber, ob gestaffelte Einkommenssteuern durch eine einheitliche Pauschalrate ersetzt werden soll. Russland hat im vergangenen Jahr einen Einheitssteuersatz von 13% eingeführt, der von den Republikanern in den USA, einschließlich Präsident Bush, sehr gelobt wurde und der sich im amerikanischen Kongress einer nicht unerheblichen Anhängerschaft erfreut.

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