Schwedens andere der Vergewaltigungsverdächtige

NEW YORK – Für mich als Sprachrohr gegen Vergewaltigung und andere Formen der Gewalt gegen Frauen ist es schwierig, die Faulheit und vorsätzliche Ignoranz zu verstehen, von der die Berichterstattung über die Anschuldigungen wegen sexueller Nötigung gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange in weiten Teilen geprägt ist. Um zu berichten, dass wir einfach Zeugen der normalen Arbeit der schwedischen Justiz werden, muss man sich vorgenommen haben, überhaupt keine Recherche zu betreiben – nicht einmal das Minimum eines Telefonanrufs. Tatsächlich werden wir Zeugen einer merkwürdigen Abweichung, was die Behandlung von Sexualdelikten in Schweden angeht – ein Fall, der die düstere Realität der Gleichgültigkeit (oder Schlimmeres) widerspiegelt, der Opfer dort und anderswo begegnen.

Wenn ich in Uppsala, wo Assange angeblich seine Tat begangen haben soll, vergewaltigt würde, könnte ich nicht erwarten, dass sich hochrangige Staatsanwälte bei Regierungen dafür einsetzen, meinen Angreifer zu verhaften. Ganz im Gegenteil: „Normale“ schwedische Vergewaltiger und Frauenschänder können davon ausgehen, dass die Polizei unter Umständen nicht reagiert, wenn sie gerufen wird. Als ich versuchte, die Notrufnummer für Vergewaltigungsopfer im staatlich geführten Krisenzentrum für Frauen in Stockholm anzurufen, ging niemand ans Telefon – und es gab keinen Anrufbeantworter.

Laut Fürsprechern von Vergewaltigungsopfern in Schweden werden ein Drittel der schwedischen Frauen bis zum Ende ihrer Teenagerjahre Opfer von sexuellen Übergriffen. Laut einer 2003 veröffentlichten Studie und weiteren späteren Studien bis 2009 verzeichnet Schweden die höchste Rate an sexuellen Übergriffen in Europa und eine der niedrigsten Verurteilungsraten.

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