Seelenlose Körper

Der weltweit führende Gelehrte für künstliche Intelligenz beschrieb Menschen einmal als Maschinen aus Fleisch. Dieses Bild gibt den Konsens in den Bereichen Psychologie und Neurowissenschaften gut wieder, wo behauptet wird, dass unser geistiges Leben das Produkt unseres physischen Gehirns ist und dass dieses Gehirn nicht durch einen göttlichen Schöpfer, sondern durch den blinden Prozess der natürlichen Selektion geformt wird.

Doch mit Ausnahme einer kleinen Minderheit von Philosophen und Wissenschaftlern nimmt niemand diese Sichtweise ernst. Sie ist anstößig. Sie verstößt gegen die Glaubenssätze jeder Religion und steht im Widerspruch zum gesunden Menschenverstand. Wir haben schließlich nicht das Gefühl, dass wir nur materielle Körper oder bloßes Fleisch sind. Vielmehr wohnen wir in unseren Körpern. Wir besitzen sie. Spontan werden wir von der Sichtweise René Descartes' angezogen: Wir sind geborene Dualisten, daher sehen wir Körper und Seele als getrennt an.

Dieser Dualismus hat bedeutende Konsequenzen für unser Denken, Handeln und Fühlen. Der Philosoph Peter Singer erörtert die Vorstellung eines moralischen Kreises – der Kreis von Dingen, die für uns wichtig und von moralischer Bedeutung sind. Der Kreis kann sehr klein sein und nur die eigenen Verwandten und Personen umfassen, mit denen man täglich zu tun hat, oder er kann äußerst groß sein und alle Menschen einschließen, aber auch Föten, Tiere, Pflanzen und sogar die Erde selbst. Bei den meisten von uns hat der Kreis eine mittlere Größe, und die Bestimmung seiner genauen Grenzen – sind Stammzellen z. B. eingeschlossen? – kann zermürbend und konfliktreich sein.

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