Die Zukunft des vereinnahmten Staates

WASHINGTON, DC – Bedenken über die Vereinnahmung des Staates sind nichts Neues. In vielen Ländern haben Partikularinteressen einen unangemessenen Einfluss auf die offiziellen Entscheidungsträger, und die Regulierungsstellen sind immer anfällig dafür, die Welt durch die Brille derjenigen zu sehen, deren Aktivitäten sie eigentlich beaufsichtigen sollen. Doch der Aufstieg des Finanzsektors in den Industrieländern wirft ein neues, viel grelleres Licht auf diese Probleme.

Vor 1939 beliefen sich die Löhne und Gehälter im Finanzsektor der USA auf nicht einmal 1% vom BIP; heute stehen sie bei 7-8% vom BIP. In den letzten Jahrzehnten haben mit zunehmender Lebenserwartung und angesichts der Altersvorsorge der geburtenstarken Jahrgänge nach dem Zweiten Weltkrieg die Finanzwerte im Vergleich zu allen anderen Messgrößen wirtschaftlicher Aktivität drastisch an Bedeutung gewonnen. Verglichen mit der Größe der US-Volkswirtschaft sind die einzelnen Banken heute sehr viel größer als Anfang der 1990er Jahre. (Die genauen Zahlen unterscheiden sich in anderen Industrieländern, doch der Aufstieg des Finanzsektors ist ein allgemeines Phänomen.)

Die globale Finanzkrise von 2007-2008 und die daraus folgende tiefe Rezession haben deutlich gemacht, dass der Finanzsektor in den USA und anderswo zu mächtig geworden ist. Seit den 1980er Jahren ist es zu einer Form von „kognitiver Vereinnahmung“ gekommen, in deren Rahmen die politischen Entscheidungsträger zu der Überzeugung gelangten, dass Innovation und Deregulierung die Funktionsweise der Finanzvermittlung und der Wirtschaft allgemein nur verbessern könnten. Die Krise bewies, dass das völlig falsch war und Millionen von Menschen enorme Kosten in Form von Arbeitsplatzverlusten, gestörten Lebensverläufen und zunehmender Not auferlegte.

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