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Massenflucht aus dem Silicon Valley

STANFORD – Aus dem Silicon Valley kommt gegenwärtig die Nachricht, dass einige der dynamischsten Unternehmen Amerikas dort ihre Zelte abbrechen und gehen. Hewlett Packard – ein 1939 von Bill Hewlett und David Packard in einer Garage in Palo Alto gegründetes Unternehmen – verlegt derzeit seine Zentrale nach Houston (Texas), und der Software-Riese Oracle hat sein Hauptquartier bereits aus Redwood City (Kalifornien) ins texanische Austin verlagert.

Auch der CEO von Tesla und SpaceX, Elon Musk, hat angekündigt, dass er nach Texas ziehen wird, und dasselbe gilt für Joe Lonsdale, den Gründer des Datenanalyse-Unternehmens Palantir, der sein komplettes Wagniskapitalunternehmen 8VC mitnimmt. Lonsdale ist derart desillusioniert vom „Golden State“, dass er seinen Schritt öffentlich in einem Artikel für das Wall Street Journal mit dem Titel „California, Love It and Leave It“ angekündigt hat.

Natürlich hatten viele Wirtschaftsbeobachter diesen Exodus bemerkt, lange bevor er sich zu einer Massenflucht entwickelte. Meine eigenen Vorträge vor Unterstützern der Hoover Institution der Universität Stanford fanden früher alle in Kalifornien statt; heute reise ich häufig nach Dallas oder in andere Städte, weil viele Leute dorthin abgewandert sind.

Es gibt plausible Erklärungen für diese Schritte. Ein offensichtlicher Grund sind die hohen kalifornischen Steuern. Der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer in Kalifornien beträgt für natürliche Personen 13,3%, und für Alleinstehende mit steuerbarem Einkommen zwischen 45.753 und 57.824 Dollar liegt er bei 8%. Texas dagegen hat keine Einkommensteuer für natürliche Personen. In ähnlicher Weise beträgt die Körperschaftsteuer in Kalifornien 8,84%; Texas hat keine Körperschaftsteuer, sondern eine Franchise-Steuer von durchschnittlich rund 1% (basierend auf den Bruttoeinnahmen). Und schließlich hat Kalifornien eine staatliche Mehrwertsteuer von 7,25%, Texas dagegen eine von 6,25%.

Zudem hat Kalifornien zwar einen niedrigeren durchschnittlichen effektiven Grundsteuersatz als Texas, doch gleichen die kalifornischen Eigenheimpreise dies mehr als aus. Der Grundsteuersatz einschließlich Parzellensteuer und Gebühren beträgt in Kalifornien durchschnittlich rund 1% und in Texas rund 1,9%. Doch da die Häuserpreise in Kalifornien im Schnitt ca. 450.000 Dollar betragen, beläuft sich die durchschnittliche Grundsteuer auf etwa 4.500 Dollar jährlich, verglichen mit unter 2.800 Dollar in Texas, wo der durchschnittliche Häuserpreis bei etwa 146.000 Dollar liegt.

Auch Unterschiede bei der Regulierung fließen in Standortentscheidungen ein. Laut dem Pacific Research Institute weist Kalifornien bei der Beschäftigung unter allen 50 US-Bundesstaaten die zweithöchsten Regulierungsauflagen auf. Dieses Ranking basiert auf einem Gesamtwert, der sich aus sieben Regulierungskategorien zusammensetzt: Entlohnung, Lizenzen für die Berufsausübung, Mindestlohn, dem Fehlen von [die Macht der Gewerkschaften begrenzenden] „Right-to-Work“-Gesetzen, obligatorischen Leistungen im Krankheitsfall, Arbeitslosenversicherung und Bestimmungen zur kurzfristigen Arbeitsunfähigkeit. Jede Form von Regulierung – selbst eine versteckte wie Lizenzen für die Berufsausübung – erzeugt Kosten, die besonders kleine Start-ups verhältnismäßig stark belasten.

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Es gibt zudem große Unterschiede im Bereich der Vorschriften, die die Nutzung von Land für Wohn-, Gewerbe- und Freizeitzwecke regeln. Insbesondere verhindern oder begrenzen (häufig von den Kommunen erlassene) Regeln zur Beschränkung der Landnutzung den Wohnungsbau und verteuern so den Wohnraum. Eine veröffentlichte Studie der Ökonomen Kyle Herkenhoff, Lee Ohanian und Edward Prescott zeigt, dass Kalifornien einige der restriktivsten Regeln zur Landnutzung aufweist, während „Texas das niedrigste Niveau bei der Regulierung der Landnutzung hat“.

Die COVID-19-Pandemie hat die Auswirkungen dieser Besteuerungs- und Regulierungsunterschiede verschärft, weil sie deutlich gemacht hat, dass viele Menschen (insbesondere im Technologiesektor) nicht in der Nähe ihres Arbeitsplatzes leben müssen. Die Massenflucht aus dem Silicon Valley hat daher auch etwas mit Innovationen im Bereich der Telekommunikation wie Videokonferenzdiensten zu tun. Oracle hat seinen Schritt in kürzlich bei der US-Börsenaufsicht SEC eingereichten Unterlagen u. a. damit begründet, dass „viele unserer Beschäftigten sich ihren Bürostandort aussuchen können sowie weiterhin teilweise oder komplett von zu Hause aus arbeiten können“.

Wenn ich durch das Silicon Valley fahre, sehe ich jetzt jedenfalls, dass die Firmenparkplätze bei Google, Facebook und Apple derzeit leer sind. Unabhängig davon, ob diese Firmen es anderen nachmachen und ihre Firmensitze verlegen werden oder nicht: Schon jetzt ist klar, dass ein deutlich größerer Anteil ihrer Beschäftigten in der „neuen Normalität“ nach der Pandemie von weiter weg aus tätig sein wird. Facebook hat bereits erklärt, es gehe davon aus, dass rund die Hälfte seiner Beschäftigten künftig Telearbeit machen werden.

Werden Kaliforniens Staatsregierung und Kommunen die belastenden Steuern, Vorschriften und sonstigen Barrieren verringern, um die Massenflucht zu stoppen? Zentrale Entscheidungen der Wähler vom vergangenen November machen Hoffnung, dass Veränderungen im Gange sein könnten. So haben die Kalifornier der sogenannten Proposition 22 zugestimmt, die Fahrer von Fahrdienstplattformen als unabhängige Subunternehmer einstuft. Damit haben die Wähler einen Teil des als Assembly Bill 5 (AB 5) bezeichneten Gesetzes für ungültig erklärt, das die wirtschaftlichen Chancen auf App-Basis arbeitender Fahrer seit September 2019 beschränkt hatte, indem es sie als abhängig Beschäftigte einstufte.

Ein weiteres gutes Zeichen war, dass die Wähler in Kalifornien die Proposition 15 abgelehnt haben, die einen Verfassungszusatz zur Erhöhung der Steuern auf Gewerbe- und Industrieimmobilien eingeleitet hätte. Die Wähler haben erkannt, dass dies ein Anschlag auf den als Proposition 13 bekannten Volksentscheid aus dem Jahr 1978 war, der seit langem hilft, die Grundsteuern niedrig zu halten. Trotz der Unterstützung von Gouverneur Gavin Newsom für die Proposition 15 war einer Mehrheit der Kalifornier bewusst, dass höhere Steuersätze die Probleme ihres Staates letztlich verschärfen würden.

Und die grundlegenden Kräfte der Dynamik bleiben. Ein Unternehmen aus dem Silicon Valley, Zoom Video Communications, heizt derzeit das Wachstum bei der Telearbeit an. Trotzdem ist dies keine Zeit für Selbstzufriedenheit. Selbst wenn sich die Parkplätze mit Verteilung der COVID-19-Impfstoffe wieder füllen werden, werden weiterhin viele Unternehmen den Staat verlassen, sofern die mit der Geschäftstätigkeit verbundenen Belastungen nicht reduziert werden. Noch schlimmer ist, dass das kalifornische Landesparlament, statt etwas gegen den Exodus zu tun, nun von einer neuen Vermögensteuer spricht – eine weitere Maßnahme, die die Lage mit Sicherheit verschlechtern würde.

Angesichts des Scheiterns der Politik bei der Bekämpfung des wachsenden Problems der Obdachlosigkeit in San Francisco und Los Angeles oder der im gesamten Staat wütenden Waldbrände ist Kaliforniens Fähigkeit, seinen Bewohnern eine hohe Lebensqualität zu bieten, inzwischen bedroht. Allerdings hat mir einer der profilierten Wirtschaftsführer, die den Staat vor kurzem verlassen haben, erzählt: „Ich liebe Kalifornien noch immer und hoffe, zur Lösung der Probleme beitragen zu können.“ Es ist Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

https://prosyn.org/jnG9hPDde