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Gesellschaftliche Solidarität für nachhaltige Entwicklung

OSLO – Der verstorbene Kofi Annansagte einmal, der Klimawandel sei die „existenzielle Frage unserer Zeit.“  Eine Reihe extremer Wetterereignisse im letzten Sommer – von den Waldbränden in Kalifornien und Schweden bis zu den Überschwemmungen in Indien und der Dürre in Australien – zeigte, wie recht er hatte. Und Annan verstand auch, dass es für die Bewältigung dieser Krise nicht nur gilt, Wirtschaft oder Umwelt zu schützen, sondern auch, die Gerechtigkeit zu verteidigen, Menschenrechte zu wahren und sich zu gesellschaftlicher Solidarität zu bekennen. 

Seit mehr als vier Jahrzehnten bilden diese Werte meine Motivation, nachhaltige Entwicklung auf nationaler und internationaler Ebene voranzutreiben. In den 1980er Jahren, während meiner Zeit als norwegische Ministerpräsidentin, fungierte ich auf Einladung des damaligen UNO-Generalsekretärs Javier Pérez de Cuéllar als Vorsitzende der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Der Bericht der Kommission unter dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft” wurde zu einem wegweisenden Dokument, das die Aufmerksamkeit von Präsidenten, Regierungschefs und Finanzministern weltweit auf nachhaltige Entwicklung lenkte. Außerdem gab dieser Bericht den Ansporn für die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 in Rio de Janeiro und er beeinflusst die weltweiten Diskussionen weiterhin.  

Heute schreibe ich als Mitglied von The Elders, einer von Nelson Mandela ins Leben gerufenen Gruppe unabhängiger Führungspersönlichkeiten, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzen. Klimaschutzmaßnahmen sind von entscheidender Bedeutung, um in allen diesen Bereichen Fortschritte zu erzielen.  

Wir wissen, was zu tun ist. Kohlendioxidemissionen müssen besteuert und reduziert werden. Die Subventionierung von Industriezweigen im Bereich fossiler Brennstoffe muss ein Ende finden. Und den am wenigsten entwickelten Ländern ist finanzielle Unterstützung zu gewähren, weil sie von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sind, obwohl sie fast nichts zu diesem Problem beitrugen.

Warum werden diese Maßnahmen nicht umgesetzt? Abgesehen von ein paar bedauerlichen und unübersehbaren Ausnahmen erkennen die politischen Entscheidungsträger dieser Welt die Realität des Klimawandels an. Sie sehen den Schaden, den extreme Wetterereignisse an Gebäuden, Infrastruktur und Lebensgrundlagen verursachen können, und sie hören auf die Warnungen der Klimawissenschaftler, dass sich die Bedingungen nur verschlechtern werden.

Aber eine hinreichend beherzte Klimastrategie erfordert Mut und politisches Engagement der Entscheidungsträger. Derartige Strategien müssen fortlaufend auf den neuesten Stand gebracht werden, um die Unterstützung der Bürger, insbesondere der jungen Menschen, zu erhalten und auch, um den sich verändernden sozioökonomischen Realitäten Rechnung zu tragen – von Globalisierung und künstlicher Intelligenz bis hin zu einem stärkeren Bewusstsein für Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder ethnischer Zugehörigkeit.

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Freilich tragen auch gewöhnliche Bürger – und wieder vor allem junge Menschen – eine Verantwortung, zu wirksamen Klimaschutzmaßnahmen beizutragen. Die Herausforderungen, vor denen die Welt steht, mögen unüberwindbar erscheinen, aber die Aufgabe für die Bürger ist simpel: es geht um Engagement. Es geht darum, Verhaltensweisen zu ändern wie etwa bei Wahlen oder bei der Forderung an Politiker nach konkreten Maßnahmen und einen Schritt nach vorne zu tun, um die Führerschaft über sich selbst zu übernehmen.

In seinem Stück „Der Volksfeind“ – einer schonungslosen Abrechnung über Courage und Feigheit der Menschen – schrieb der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen: „Die Gesellschaft ist wie ein Schiff. Alle Mann müssen mittun am Steuerruder.” Nun, da sich unser globales Schiff gerade in stürmischen und gefährlichen Gewässern befindet, muss jeder von uns bereit sein, in angemessener und realistischer Weise Führerschaft an den Tag zu legen, ob innerhalb unserer lokalen Gemeinschaft oder auf nationaler oder internationaler Ebene. 

Wir verfügen bereits über die Navigationshilfen, die uns den Weg in sichere Gewässer weisen können. Die im Jahr 2015 von allen UNO-Mitgliedsstaaten vereinbarten 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung decken alle miteinander verbundenen Aspekte des menschlichen Lebens und der Entwicklung ab, von Gesundheit, Bildung und Umwelt bis hin zu Frieden, Gerechtigkeit, Sicherheit und Gleichheit.

So kann es beispielsweise ohne gesunde Weltbevölkerung keine nachhaltige und auch keine andere Entwicklung geben. Dennoch rutschen in Indien allein aufgrund der Kosten für die Gesundheitsversorgung jedes Jahr Millionen Menschen in die Armut ab, wie mein Elder-Kollege, der ehemalige UNO-Generalsekretär  Ban Ki-moon und ich anlässlich einer kürzlichen Reise in dieses Land feststellten.

Die gute Nachricht ist, dass Indien auch zeigt, wie man mit innovativen Reformen auf staatlicher und nationaler Ebene den Zugang zu Gesundheitsleistungen verbessern kann. Insbesondere die ihrem Namen entsprechenden Mohalla-Kliniken der Stadtregierung von Delhi (Mohalla bedeutet Gemeinschaft oder Nachbarschaft auf Hindi) bieten ein kostenloses Paket grundlegender Gesundheitsdienste bestehend aus Medikamenten, Diagnostik und Arztbesuch an.

Die Herausforderungen im Gesundheitsbereich, mit denen Indien konfrontiert ist, bestehen auch in vielen anderen Teilen der Welt, darunter in weitaus reicheren Ländern wie etwa den Vereinigten Staaten. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind nicht nur mehr Innovationen erforderlich, sondern auch die Umsetzung bestehender Lösungen wie der Mohalla-Kliniken. Dies auf Grundlage der Erkenntnis, dass Gesundheit ein öffentliches Gut ist und dass ein wirksames Gesundheitssystem auf gesellschaftlicher Solidarität aufbaut – dem grundlegenden Prinzip aller Ziele nachhaltiger Entwicklung.

Tatsache ist, dass jedes Staatsoberhaupt, jede Regierung sowie jeder Bürger und jede Bürgerin dafür verantwortlich ist, dass wir die Ziele nachhaltiger Entwicklung erreichen. In diesem Sinne widerlegen diese Ziele die Ansicht, wonach der beste Weg zur Maximierung von Wohlstand und Sicherheit darin besteht, das eigene Land und seine Interessen an die erste Stelle zu setzen und es von seinen Nachbarn abzuschotten.

Um die Ziele nachhaltiger Entwicklung zu erreichen – und damit auch die Klimakrise zu überwinden – wird es erforderlich sein, dass wir uns gegen jene Interessen aus Politik, Unternehmen und Wirtschaft stellen, die darauf aus sind, unsere gegenwärtige ungerechte Ordnung beizubehalten. Außerdem ist es erforderlich, dass wir unseren nicht nachhaltigen Lebensstil und unsere Produktions- und Konsummuster überdenken und uns mit dem Problem des raschen Bevölkerungswachstums auseinandersetzen. Jeder wird seinen Beitrag zu leisten haben.

Dieses Jahr begehen Menschen auf der ganzen Welt den 100. Geburtstag Nelson Mandelas. Mandela, eine der bemerkenswertesten und visionärsten Führungspersönlichkeiten, die diese Welt je gesehen hat, verstand, dass menschliche Entwicklung ein kollektives, ganzheitliches Unterfangen ist. „Die Überwindung der Armut“, erklärte er einmal, „ist keine Aufgabe der Wohltätigkeit, sondern ein Akt der Gerechtigkeit”

Würdigen wir daher Mandelas Vermächtnis, indem wir dringende, kooperative und umfassende Maßnahmen ergreifen, um die Ziele nachhaltiger Entwicklung zu erreichen. Bauen wir eine Welt, die wir unseren Kindern und Enkelkindern mit Stolz hinterlassen können.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

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