Einen brennenden Baum kann man nicht umarmen

PRAG – Wir werden alle dazu erzogen, Papier zu recyceln, um Bäume zu retten. Unzählige E-Mail-Signaturen sind mit der Ermahnung versehen: „Bitte prüfen Sie der Umwelt zuliebe, ob der Ausdruck dieser E-Mail erforderlich ist.“ Die Umweltbewegung ist aus dem Appell geboren worden, die Wälder zu erhalten.

Im Namen der Rettung unseres Planeten vor dem Klimawandel schlagen Umweltschützer nun aber eine massive globale Kampagne zur Abholzung und Verbrennung von Bäumen und Unterholz vor, um so die Nutzung fossiler Brennstoffe zu verringern. Man könnte die Initiative als seltsame Ironie abtun, wären da nicht die gewaltigen Kosten, zu denen die voraussichtliche Zerstörung der Artenvielfalt, ein erhöhter Wasserverbrauch und eine gesunkene weltweite Nahrungsmittelproduktion zählen. Und obendrein könnten sich die globalen CO2-Emissionen durch diese Kampagne letzten Endes erhöhen.

Die meisten Menschen haben Sonnenkollektoren und Windkraftanlagen vor Augen, wenn sie an erneuerbare Energiequellen denken. Global gesehen stellen Sonnen- und Windenergie allerdings nur einen kleinen Gesamtanteil der erneuerbaren Energien – im Jahr 2010 waren es weniger als 7%. Wasserkraft spielt mit 17% eine deutlich größere Rolle. Mit Abstand am bedeutendsten ist allerdings Biomasse – der älteste Brennstoff der Menschheit macht heutzutage 76% der erneuerbaren Energie und 10% der Energie insgesamt aus. Rund 60% dieser Biomasse sind Holz, Zweige und Dung, die von fast drei Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu modernen Energieträgern haben, für offene Herdfeuer genutzt werden – der verheerenden Luftverschmutzung fallen Millionen von Menschen zum Opfer.

Die übrigen 40% der Biomasse werden in westlichen Ländern zur Erzeugung von Wärme und zukünftig in zunehmendem Maße auch zur Erzeugung von Strom benutzt. Das macht Sinn, weil Sonnen- und Windenergie von Natur aus unzuverlässig sind – wir brauchen auch dann Energie, wenn der Himmel bewölkt ist oder der Wind abflaut. Biomasse kann (neben Wasserkraft) eingesetzt werden, um die Schwankungen auszugleichen, die Wind und Sonne mit sich bringen.

Biomasse erlebt ein Revival, weil sie als CO2-neutral betrachtet wird. Nach herkömmlicher Meinung wird bei der Verbrennung von Holz nur so viel CO2 freigesetzt wie in der Wachstumsphase vom Baum gespeichert wurde und somit ist der Netto-Klimaeffekt gleich Null. Es werden jedoch vermehrt Stimmen laut, die diese Ansicht infrage stellen. Der Wissenschaftliche Beirat der Europäischen Umweltagentur hat diese Sicht als „irrige Annahme“ basierend auf einem „ernsten Rechenfehler“ bezeichnet, weil es lange dauern wird bis nachwachsende Bäume die CO2-Emissionen absorbieren, nachdem ein Wald abgeholzt wurde, um das Holz zu verbrennen. Der Klimaeffekt könnte in einer Netto-Erhöhung der Emissionen bestehen, wenn Wälder gerodet werden, um Flächen für Energiepflanzen zu schaffen.

Den Mitgliedern des Beirates zufolge „sind die potenziellen Konsequenzen dieses Rechenfehlers in der Bioenergie immens“. Der Plan der Umweltschützer, 20-50% aller Energie aus Biomasse zu beziehen könnte eine Verdreifachung des gegenwärtigen Biomasseverbrauchs bedeuten und ihre Produktion in unmittelbare Konkurrenz zur Produktion von Nahrungsmitteln für eine wachsende Weltbevölkerung stellen, während Wasserressourcen erschöpft, Wälder abgeholzt und die Biodiversität verringert werden.

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Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit verdeutlicht diesen Standpunkt in ihrem Titel: „Großangelegte Bioenergiegewinnung aus der zusätzlichen Ernte von Biomasse aus Wäldern ist weder nachhaltig, noch treibhausgasneutral.“ Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass die Industrielle Revolution den Klimawandel verursacht habe, die Abhängigkeit von Kohle aber tatsächlich gut für Wälder gewesen sei, weil unsere Vorfahren aufgehört haben, das Holz der Wälder zu plündern. Dies ist einer der Hauptgründe warum sich die Wälder in Europa und in den Vereinigten Staaten erholt haben – und der Grund, warum viele Wälder in Entwicklungsländern bedroht sind. Der neuerliche Reiz, den Biomasse auf die entwickelte Welt ausübt, könnte einen ähnlichen Weg nehmen.

Das größte Problem besteht jedoch darin, dass die Produktion von Biomasse die Produktion anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse anderswohin verdrängt. Es wird gerade damit begonnen, die Auswirkung einer solchen Verdrängung abzuschätzen. In Dänemark hat eine Gruppe von Forschern geschätzt, in welchem Umfang verschiedene Pflanzen CO2-Emissionen reduzieren würden. So würde etwa die Verbrennung von einem Hektar Weiden, die von einem Feld geerntet wurden, das vorher für den Anbau von Gerste (der typischen Nutzpflanze, deren Anbau sich in Dänemark gerade noch lohnt) genutzt wurde, den Ausstoß von 30 Tonnen CO2 pro Jahr verhindern, wenn dadurch Kohle ersetzt würde. Stolze Produzenten von erneuerbaren Energien werden diese Angaben ins Feld führen, wenn sie auf Biomasse umstellen.

Bei der Verbrennung der Weiden werden allerdings 22 Tonnen CO2 freigesetzt. Selbstverständlich wurde all das CO2 im Vorjahr aus der Atmosphäre aufgenommen; nur hätte auch die Gerste, wenn wir sie an Ort und Stelle gelassen hätten, ebenfalls eine ganze Menge aufgenommen und die Reduktion im Verhältnis zu Kohle auf 20 Tonnen verringert. Und in einem marktwirtschaftlichen System verlagert sich fast die gesamte Produktion der Gerste einfach auf eine vorher nicht bewirtschaftete Fläche. Die Rodung der dort vorhandenen Biomasse stößt im Durchschnitt weitere 16 Tonnen CO2 pro Jahr aus (und diese Schätzung ist wahrscheinlich noch zu gering angesetzt).

Also sparen wir nicht etwa 30 Tonnen ein, sondern nur vier – im besten Fall. Von den zwölf Produktionsmodellen, die analysiert wurden, würden zwei die jährlichen CO2-Emissionen um lediglich zwei Tonnen verringern, während die anderen zehn die Emissionen insgesamt sogar erhöhen – um bis zu 14 Tonnen pro Jahr.

Gleichzeitig geben wir in Heidengeld für Biomasse aus. Deutschland allein gibt jedes Jahr über drei Milliarden US-Dollar aus, oder 167 US-Dollar pro Tonne CO2-Ausstoß, der vermieden wird, was über 37-mal so viel ist, wie Kohlenstoffdioxidreduktionen im Emissionshandelssystem der Europäischen Union kosten. Und bei der Schätzung der vermiedenen Emissionen werden indirekte Landnutzungsänderungen nicht berücksichtigt, was die tatsächlichen Kosten wahrscheinlich mindestens achtmal so hoch sein lässt.

Vor zehn Jahren haben die EU und die USA Biokraftstoffe als Möglichkeit für sich entdeckt, die Erderwärmung zu bekämpfen. Heutzutage lassen die USA 40% ihrer Maisproduktion zu Ethanol destillieren, das in Autotanks verbrannt wird. Die Nahrungsmittelpreise sind in die Höhe geschnellt und haben Millionen von Menschen in den Hunger getrieben, während Jahr für Jahr über 17 Milliarden US-Dollar für Subventionen ausgegeben werden und anderswo auf der Welt Wälder abgeholzt werden, um landwirtschaftliche Flächen zu schaffen, was insgesamt mehr CO2-Emissionen verursacht als die gesamten Einsparungen durch Ethanol. Biokraftstoffe haben sich zu einer totalen Katastrophe entwickelt, die sich kaum aufhalten lässt.

Wir müssen uns dem nächsten – und potenziell deutlich größeren Vorhaben – entgegenstellen, im Zeichen von Biomasse Geld und Zeit auf Staatskosten zu verschwenden. Ja, wir sollten Abfälle in Energie verwandeln und klug mit landwirtschaftlichen Rückständen umgehen. Gerade sind wir jedoch im Begriff, die Artenvielfalt zu verringern, zu viel Wasser zu verbrauchen, Nahrungsmittel zu verteuern und Hunderte Milliarden von Dollar zu verschwenden – all das, während wir Bäume fällen, um sie zu verbrennen und so potenziell mehr CO2-Emissionen verursachen. Und dabei hat man uns erzogen, es besser zu wissen und entsprechend zu handeln.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

https://prosyn.org/n7KYvZ3de