Den Internationalen Währungsfond (IWF) neu erfinden

Ein Unterscheidungsmerkmal der Finanzkrisen in den vergangenen zwanzig Jahren - der internationalen Schuldenkrise von 1982, der Mexiko-Krise von 1994, der Krise in den aufstrebenden Märkten von 1997 bis 99, und jetzt der Krise, die Argentinien und die Türkei heimsucht – war es, dass sie sich auf die Peripherie der Weltwirtschaft beschränkt haben. Dies hat zu enormen Unterschieden in der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und Finanzen geführt. Während die Peripherie von einer Krise in die nächste rutschte, ist das Zentrum beachtlich stabil und wohlhabend geblieben. Wie erklärt sich das, und was sollte getan werden?

In der Geschichte haben Finanzkrisen typischer Weise zu immer mehr Regulierungen geführt, zum Eingreifen der Zentralbanken und anderen Aufsichtsbehörden. In den Ländern im Zentrum der Weltwirtschaft sind die entsprechenden Institutionen inzwischen so herangereift, dass sie finanzielle Verwerfungen, wie sie sich in den 1930er Jahren ereignet hatten, abwenden können. Doch die Entwicklung des internationalen Regulierungsgerüstes hat mit der Globalisierung der Finanzmärkte nicht Schritt gehalten. Tatsächlich lässt sich die Krise von 1997 bis 99 mindestens teilweise darauf zurückführen, dass die Kapitalmärkte in den Entwicklungsländern voreilig geöffnet wurden, ehe noch ihre Finanzinstitutionen der Aufgabe gewachsen waren.

Seit der Krise von 1997 bis 99 wurde stets hervorgehoben, wie wichtig es sei, die Regulierungsmechanismen in den aufstrebenden Marktwirtschaften zu stärken. Doch der internationale Regulierungsmechanismus ist eher noch geschwächt worden. Man vertritt nämlich weithin die Ansicht, dass die Rettungsmaßnahmen des IWF eigentlich noch zur Krise beigetragen hätten, indem sie das ausgelöst hätten, was Ökonomen ein „moralisches Hasardspiel" nennen. Gemeint ist, dass die Marktteilnehmer die Unterstützung des IWF für Länder, die in Schwierigkeiten geraten sind, erwarten und damit rechnen, dass der IWF die Kapitalanleger, die den Ländern Kredit gewährt hatten, dabei aus ihrer Haftung entlässt. Die Rettungsmaßnahmen des IWF schwächten nach dieser Auffassung die Marktdisziplin und förderten einen irrationalen und nicht nachhaltigen Verleihboom.

Dieses Argument hat einiges für sich. Aber Marktfundamentalisten haben unrecht, wenn sie fordern, dass es, um das internationale Finanzwesen wieder auf eine gesunde Grundlage zu stellen, lediglich nötig sei, dieses moralische Hasardspiel zu beseitigen. Das System selbst ist so ausgelegt, dass es das Zentrum - hauptsächlich die Vereinigten Staaten mit ihrer Fähigkeit, finanzpolitische Richtlinien durchzusetzen - einseitig bevorzugt. Das moralische Hasardspiel zu beseitigen, bewirkt nur, dass sich die für die Peripherie eingebauten Nachteile in den Kosten und der Verfügbarkeit von Kapital widerspiegeln. Dies geschieht bereits, wenn es auch noch nicht eingestanden wird.

Im Zuge der Kreise von 1997 bis 99 und ihrer Nachwehen hat der IWF eine totale Kehrtwendung vollzogen. Statt den privaten Sektor „aus der Haftung zu entlassen“ hat er ihn „haftbar“ gemacht. Die Kosten der anteiligen Belastungen wurde ihm zu Marktpreisen in Rechnung gestellt. Das führte zu dem Ergebnis, dass die Risikoprämie für Kredite an die aufstrebenden Märkte deutlich gestiegen ist und sich die Aufwand- und Ertragsrechnung sehr zu Ungunsten der Investition in die aufstrebenden Märkte verschoben hat.

Die Kursänderung der IWF-Politik wird wohl die Rückkehr des Booms in den aufstrebenden Märkten erfolgreich verhindert haben. Sie hat aber bereits ein neues Problem aufgeworfen, das sich in die entgegengesetzte Richtung auswirkt: Die hohen Kosten und geringe Verfügbarkeit von Kapital bescherten den Finanzmärkten eine neue ansteckende Krankheit. Diese äußert sich nicht nur im Fehlen ausländischer Portfolio-Investitionen, sondern auch in der Flucht heimischen Kapitals. Das bedeutet für heimische Firmen in den Ländern der Peripherie eine grundlegende Benachteiligung gegenüber den internationalen Unternehmen.

Wenn man die Anleihen aus dem eigenen Land, Portfolio-Investitionen und private Kreditflüsse zusammenfasst, dann hat seit 1997 aus den aufstrebenden Märkten eigentlich ein Netto-Geldabfluss stattgefunden. Der Zufluss von 81,7 Milliarden Dollar im Jahr 1996 ist in einem Abfluss von 104,7 Milliarden Dollar im Jahr 2000 umgeschlagen. Dies wurde nur schwach von dem etwas gesteigerten Zustrom ausländischer Direktinvestitionen und von amtlichen Finanzhilfen ausgeglichen. Im Jahr 2000 sind atemberaubende 64 % der globalen Kapitalexporte auf der Suche nach besseren Anlagemöglichkeiten in die Vereinigten Staaten geströmt, im Vergleich dazu betrugen diese Exporte in den Jahren 1997 bis 99 nur 35 %.

Offensichtlich genügt es nicht, das moralische Hasardspiel aus den Weltfinanzen zu verbannen. Es müssen auch neue Anreize geboten werden, um einen ausgeglicheneren Spielraum zu schaffen und den Zufluss von Kapital in die Länder der Peripherie zu fördern. Die Anreize sollten in Form von Kreditgarantien und anderen Krediterleichterungen angeboten werden. Sie würden die Macht und den Einfluss des IWF zur Verhinderung künftiger Krisen stärken.

Nach welchen allgemeinen Grundsätzen das geschehen sollte, ist offensichtlich: Es sollte eine bessere Ausgewogenheit zwischen Krisenabwehr- und Unterstützungsmaßnahmen bei Krisen erzielt werden sowie eine bessere Ausgewogenheit zwischen dem Angebot von Anreizen für Länder, damit sie eine vernünftige Wirtschaftspolitik betreiben, und den Strafen für solche, die das nicht tun. Die beiden Ziele stehen mit einander im Zusammenhang: Nur durch Anreize kann der IWF stärkeren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder nehmen, bevor sie sich in einer Krisensituation an den IWF wenden.

Um diese Grundsätze umzusetzen, schlage ich folgende Maßnahmen vor:

· Der IWF sollte die Länder bewerten. Ländern auf dem höchsten Rang würden automatisch die gängigen Kreditlinien gewährt werden und Inhabern ihrer Obligationen würde zugesichert, dass ihre Ansprüche im Falle eines IWF-Programms voll berücksichtigt würden. Dies würde einem Land den Zugang zu Krediten beträchtlich erleichtern. Im Gegensatz dazu würde der IWF gegenüber Ländern auf dem untersten Rang im Voraus klarstellen, dass er nicht bereit wäre, sich auf ein Programm für sie einzulassen, ohne mit den privaten Anlegern die Lasten zu teilen. Warnung: Käufer habt Acht. Es könnte einen oder mehrere Ränge dazwischen geben, bei denen der IWF auf einer unterschiedlich abgestuften Lastenbeteiligung besteht.
· Das Baseler Abkommen, das für Geschäftsbanken international vereinbarte Kapitalvoraussetzungen festgelegt hat, könnte solche IWF-Bewertungen in unterschiedliche Voraussetzungen für die Kapitalgewährung übertragen.
· Die Federal Reserve, die Europäische Zentralbank, die Bank von England und die Bank von Japan könnten im Rahmen ihres Diskonts besonders gekennzeichnete Schatzanweisungen ausgewählter Länder akzeptieren. Dieser Vorzug könnte für bestimmte Länder oder für besonders gefährliche Situationen vorbehalten bleiben.

Einige gesetzliche Hürden müssten allerdings noch genommen werden, ehe diese Änderungen wirksam werden. Zum Beispiel hat der IWF zur Zeit weder die Macht, Lastenbeteiligungen zu verhängen, noch kann er wie im Falle eines Konkursverfahrens, während einer Umschuldung Schutz vor Klagen der Gläubiger anbieten. (Der Finanzminister der Vereinigten Staaten, O'Neill, deutete kürzlich an, dass er einen solchen Mechanismus unterstützen würde).

Solche Reformen würden dem IWF und seinen Mitgliedern wirksamere Werkzeuge in die Hand geben, um internationale Finanzkrisen abzuwehren und die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Ländern im Zentrum des globalen Systems und jenen an der Peripherie abzubauen. Um sie einzuführen, müssen wir zuerst die Einwände der Marktfundamentalisten überwinden, die den IWF beseitigen oder weiter einschränken wollen.

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