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Putins neue atomare Erpressung

ATLANTA – Letzte Woche kündigte der russische Präsident Wladimir Putin eine „Teilmobilmachung” der russischen Streitkräfte an – angeblich sollen 300.000 Reservisten einberufen werden, obwohl manche Berichte von 1,2 Millionen Menschen sprechen. Nachdem ich diese Nachrichten vernommen hatte, rief ich eine Freundin in St. Petersburg an, die mir unter Tränen erklärte, dass ihr 30-jähriger Sohn lieber ins Gefängnis gehen würde, als in der Ukraine zu kämpfen, jenem Land, in dem seine jüdisch-ukrainische Großmutter begraben ist. Aus Angst, auf der Straße erwischt zu werden, arbeitet er jetzt von zuhause aus. Es war das zweite Mal, dass ich meine Freundin weinen hörte. Zum ersten Mal geschah es am 24. Februar, als Russland in die Ukraine einmarschierte.

Die Geschichte meiner Freundin ist kein Einzelfall. In ganz Russland nehmen Menschen, die Politik einst als weit entfernt und abstrakt ansahen, die politischen Entwicklungen heute sehr genau wahr - und sind vielfach verstört. Doch nicht alle potenziell Einzuberufenden reagieren auf die Mobilmachung – oder „Mogilisierung“ wie es im aktuellen russischen Sprachgebrauch heißt (mogila bedeutet „Grab“) – wie der Sohn meiner Freundin. Wer hofft, der Widerstand der Bevölkerung würde die Mobilisierung vereiteln, wird wohl enttäuscht werden.

Auch wenn viele russische Männer nicht in einem Krieg sterben wollen – rund 200.000 haben sich bereits ins Ausland abgesetzt – so macht doch der größte Teil keine Anstalten, sich der Einberufung zu entziehen. Das wohl teilweise aus Furcht vor – den kürzlich von der Duma verschärften - strafrechtlichen Konsequenzen, wenn sie sich der Einberufung entziehen. Viele plappern allerdings auch Putins Propaganda nach und sagen, die „Ukrainer sind ja doch Faschisten“ und der Westen und die Ukraine „hassen uns ohnehin.“

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