orban salvini Emanuele Cremaschi/Getty Images

Europas Populisten: Auch Minderheiten haben Macht

BERLIN – Werden die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai dieses Jahres zu einer politischen Revolution führen? Populistische und nationalistische Parteien hoffen das sicherlich. Sie versprechen, nicht nur das Brüsseler Establishment zu stürzen, sondern auch die Freizügigkeit zu beenden, Sanktionen gegen Russland aufzuheben, die NATO abzuschaffen, auf künftige Handelsabkommen zu verzichten, politische Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels umzukehren und die Ehe für alle abzuschaffen.

Viele dieser Ideen stehen schon lange in den Wahlprogrammen europaskeptischer Randparteien. Doch eine große Umfrage unter europapolitischen Praktikern und Experten aus den 27 Mitgliedstaaten der EU unter der Leitung von Susi Dennison und Pawel Zerka vom European Council on Foreign Relations (ECFR), die nächste Woche veröffentlicht wird, zeigt, dass die Wähler in diesem Jahr empfänglicher für solche Vorschläge sein könnten als in der Vergangenheit.

Früher waren Europawahlen eine überwiegend nationale Angelegenheit mit geringer Wahlbeteiligung, der wenig Bedeutung beigemessen wurde. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die Wahlkampfsaison ist bereits zu einem transnationalen, paneuropäischen Ereignis geworden. Während der populistische Scharfmacher Steve Bannon aus den USA versucht, eine Koalition rechtsnationalistischer Regierungen aufzubauen, haben der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und der italienische stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini ein populistisches Bündnis geschmiedet, das die Austeritätsgegner der Linken mit den Migrationsgegnern der Rechten vereinigt. Orbán und Salvini verfolgen das Ziel, die EU-Institutionen zu vereinnahmen und den europäischen Integrationsprozess von innen heraus umzukehren. Ihnen schwebt nichts Geringeres vor, als eine Neubegründung des Westens auf illiberalen Werten.

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