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Das Zeitalter der zynischen Wähler

WARSCHAU – Wir alle wissen, dass Politiker listig und zynisch sind, aber gilt das mittlerweile auch für die Wählerschaft?

Viele derjenigen, die US-Präsident Donald Trump ihre Stimme gaben, waren sich darüber im Klaren, dass er ein notorischer Lügner mit verdächtigen Beziehungen nach Russland ist. Ebenso weiß auch die Basis der Konservativen im Vereinigten Königreich, dass Boris Johnsons Weg an die Spitze mit Lug und Trug gepflastert ist. In Polen ist es kein Geheimnis, dass die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ihre Lakaien massenhaft in Regierungsinstitutionen installiert, die öffentlichen Medien missbraucht, Kumpane belohnt und die Unabhängigkeit der Gerichte untergräbt. Dennoch schlug die PiS Polens Oppositionsparteien bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai vernichtend.

Die Tatsache, dass Polen, Briten und Amerikaner moralisch bankrotte Regierungen ins Amt wählten, ist symptomatisch für eine Entwicklung, die der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk Anfang der 1980er Jahre als „zynische Vernunft“ beschrieb. Sloterdijk argumentierte, dass die westlichen Eliten mangels weitverbreiteter Fortschrittsnarrative die Lehren der Aufklärung zwar übernommen, sie jedoch eher im Dienste des kleingeistigen Eigeninteresses als des Gemeinwohls angewandt hätten. Soziale Probleme wie Sklaverei, Armut und Ungleichheit waren nicht mehr nur auf menschlichen Unverstand zurückzuführen, und dennoch fehlte es den aufgeklärten Menschen an der Entschlossenheit sie zu lösen. In Slavoj Žižeks Worten funktioniert Ideologie heute nicht mehr nach dem Motto „sie wissen es nicht, tun es aber trotzdem” sondern nach der Devise „sie wissen sehr wohl und tun es dennoch.”

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