moisi168_RYAD KRAMDIAFPGetty Images_algeriaprotestwomanflag Ryad Kramdi/AFP/Getty Images

Der Geist des Jahres 2019

PARIS – Wie bereits in den Jahren 1848, 1968, 1989 und 2010-2012 wurde die Welt kürzlich durch eine Welle von Bürgerprotesten überrascht. Die Massenrevolten in Beirut, Santiago, Hongkong, Algier, Bagdad und anderen Städten gewinnen an Stärke und erwischen die Regierungen auf dem falschen Fuß. Aber obwohl die Versuchung, historische Vergleiche anzustellen, verständlich ist, haben die Aufstände des Jahres 2019 einen ganz eigenen Geschmack.

Um die Protestbewegungen zu beschreiben, die in Tunesien vor fast einem Jahrzehnt begannen und sich über Ägypten, Libyen, Syrien und andere arabische Länder verbreiteten, verwiesen viele im Westen auf den „Frühling der Völker“ von 1848. Auch einige der Libanesen, die ich bei einem kürzlichen Besuch in Katar traf, zweifelten nicht daran, dass sich momentan ein neuer Zyklus des „Arabischen Frühling“ entfaltet – diesmal jedoch in globalem Maßstab und anscheinend zerrissen zwischen Begeisterung und Angst.

Ebenso erinnern die heutigen Demonstranten an die vom Mai 1968, nicht zuletzt aufgrund ihrer Jugend, ihrer Spontaneität und ihrem Mangel an erkennbaren Anführern. Aber wie jede historische Entwicklung müssen die Ereignisse von 2019 aus sich selbst heraus verstanden werden.

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