NEW HAVEN – Es ist inzwischen eine nur allzu vertraute Übung. Nach einer ausgedehnten Phase außergewöhnlich lockerer Geldpolitik hat die US-Notenbank (Fed) sich auf den langen Weg zurück zur Normalität gemacht. Sie hat nun den ersten Schritt getan, um ihren Leitzins – die Federal Funds Rate – auf ein Niveau zurückzuführen, das der US-Volkswirtschaft weder Impulse verleiht noch sie ausbremst.
Eine Mehrheit der Finanzmarktteilnehmer applaudiert dieser Strategie. Tatsächlich ist sie ein gefährlicher Fehler. Die Fed orientiert sich am Skript ihrer letzten Normalisierungskampange – den schrittweisen Zinserhöhungen der Jahre 2004-2006, die auf die ungewöhnlich lockere Geldpolitik der Jahre 2001-2003 folgten. Und genau wie jener frühere Gradualismus den Boden bereitete für die verheerende Finanzkrise und schreckliche Rezession von 2008-2009, besteht derzeit eine wachsende Gefahr eines weiteren Unfalls auf dem wie es aussieht diesmal noch längeren Weg hin zur Normalität.
Das Problem rührt daher, dass die Fed, wie andere wichtige Notenbanken, sich inzwischen zu einer Kreatur der Finanzmärkte statt zu einem Hüter der Realwirtschaft entwickelt hat. Diese Verwandlung begann schon Ende der 1980er Jahre, als die geldpolitische Disziplin der Inflation das Rückgrat brach und die Fed vor neue Herausforderungen gestellt wurde.
Die Herausforderungen der auf die Inflation folgenden Ära erreichten ihren Gipfel während der achtzehneinhalbjährigen Amtszeit von Alan Greenspan als Chairman der Fed. Der Börsenkrach vom 19. Oktober 1987 – gerade mal 69 Tage nach Greenspans Amtseinführung – gab einen Anhaltspunkt auf das, was kommen sollte. In Reaktion auf den Kurssturz bei den US-Aktien von 23% an nur einem Tag unternahm die Fed aggressive Schritte zur Unterstützung des Maklersystems und zum Kauf von Staatspapieren.
Im Nachhinein war dies das Muster für eine Vorgehensweise, die später als „Greenspan-Put“ bekannt werden sollte – massive Liquiditätsspritzen der Fed mit dem Ziel, Verwerfungen an den Finanzmärkten im Gefolge einer Krise einzudämmen. Und angesichts der wiederholten Krisen an den Märkten in den kommenden Jahren – von der Sparkassenkrise der späten 1980er Jahre und dem Golfkrieg (1990-1991) zur Asiatischen Finanzkrise (1997-1998) und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 – entwickelte sich der Greenspan-Put zu einem zentralen Element der marktorientierten Taktik der Fed.
Dieser Ansatz gewann eine zusätzliche Bedeutung Ende der 1990er Jahre, als Greenspan sich in die sogenannten Vermögenseffekte verliebte, die sich aus steigenden Aktienmärkten ziehen ließen. In einer Ära schwacher Ertragsgenerierung und scheinbar chronischer Leistungsbilanzdefizite bestand der Druck, neue Quellen wirtschaftlichen Wachstums zu entdecken. Doch als der steile Anstieg der Aktienkurse sich in eine Blase verwandelte, die dann im Jahr 2000 mit großem Knall platzte, unternahm die Fed aggressive Schritte, um ein Ergebnis wie in Japan – eine anhaltende Phase der Vermögensdeflation, die eine lange Bilanzrezession hätte auslösen können – zu vermeiden.
Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.
Subscribe Now
An diesem Punkt waren die Würfel gefallen. Die Fed reagierte nun nicht länger nur auf idiosynkratrische Krisen und die von diesen ausgelösten Marktstörungen. Sie hatte auch den Vermögensmärkten eine Rolle als eine wichtige Quelle wirtschaftlichen Wachstums gegeben. Die Asset-Economy – eine von steigenden Vermögenspreisen getragene Wirtschaft – nahm schnell eine Position entsprechender Bedeutung in der Gestaltung der geldpolitischen Debatte ein.
Die Fed war damit praktisch dem Monster verfallen, das sie geschaffen hatte. Die logische Folge war, dass sie zugleich zum unerschütterlichen Beschützer der finanzmarktgestützten Fundamente der US-Volkswirtschaft geworden war.
Überwiegend aus diesem Grund sowie aus Furcht vor dem „Japansyndrom“ im Gefolge des Zusammenbruchs der US-Aktienblase verfolgte die Fed während der Phase von 2003-2006 eine übertrieben lockere Geldpolitik. Die Federal Funds Rate wurde bis Juni 2004 auf ihrem 46-Jahres-Tief von 1% gehalten, bevor sie dann während des Zweijahreszeitraums von Mitte 2004 bis Mitte 2006 17-mal in kleinen Schritten um jeweils 25 Basispunkte angehoben wurde. Doch es war genau während jener Phase einer allmählichen Normalisierung und anhaltend lockeren Geldpolitik, dass eine ungebremste Risikobereitschaft die Saat der großen Krise bereitete, die bald kommen würde.
Im Laufe der Zeit ist das Dilemma der Fed zunehmend unhaltbar geworden. Die Krise und Rezession von 2008-2009 waren schlimmer als ihre Vorgänger, und die Nachbeben deutlich schmerzlicher. Doch da die US-Notenbank bei ihrer Unterstützung der Asset Economy wiederholt nachgelegt und den Leitzins bis auf null abgesenkt hatte, war ihr die traditionelle Munition ausgegangen.
Und daher verlegte sich die Fed unter Ben Bernankes Führung auf die Liquiditätsspritzen der quantitativen Lockerung, die sie noch mehr zu einer Kreatur der Finanzmärkte machten. Da der Zinsübertragungsmechanismus der Geldpolitik an der Nullgrenze nicht länger wirksam war, wurden die Vermögensmärkte als Stütze der Volkswirtschaft wichtiger denn je. Die außergewöhnlich niedrige Inflation war der Zuckerguss auf dem Kuchen – sie bot der Fed bei der Verfolgung ihrer Inflationsziele jede Menge Spielraum, um mit unkonventionellen Strategien zu experimentieren und zugleich negative Zinsfolgen am inflationssensiblen Anleihemarkt zu vermeiden.
Die heutige Fed hat die zutiefst verfestigten Risiken systemischen Fehlverhaltens der Asset-Economy geerbt. In vorsichtigen, stark durch Vorbehalte geprägten Formulierungen signalisiert sie einen im Vergleich zu ihrer Normalisierungsstrategie von vor einem Jahrzehnt deutlich stärkeren Gradualismus. Die Debatte auf den Märkten konzentriert sich darauf, ob es zwei oder eher drei Zinserhöhungen von jeweils 25 Basispunkten pro Jahr geben wird – was nahelegt, dass es bis zu vier Jahre dauern könnte, um die Federal Funds Rate wieder auf ihren Normwert von 3% zu bringen.
Doch wie die Erfahrung der Jahre 2004-2007 gezeigt hat, schafft die überzogene Liquidität, die durch eine allmähliche Normalisierung ausgelöst wird, eine Neigung der Finanzmärkte zu Exzessen und Unfällen. Angesichts der Aussichten auf eine deutlich längere Normalisierung sind diese Risiken umso bedenklicher. Frühzeitige Warnsignale von Problemen auf hocherträglichen Märkten, bei den Schuldverschreibungen der Schwellenländer und Zinsderivaten der Eurozone sind diesbezüglich besonders besorgniserregend.
Je länger die Fed in dieser Denkweise gefangen bleibt, desto ernster wird ihr Dilemma – und desto größer die systemischen Risiken an den Finanzmärkten und in der von den Vermögenspreisen abhängigen US-Wirtschaft. Es wird einer leidenschaftlich auf ihre Unabhängigkeit bedachten Notenbank bedürfen, um die Realwirtschaft von den Märkten zu entwöhnen. Eine Fed, die in der politischen Ökonomie der Wachstumsdebatte gefangen ist, ist nicht in der Lage, diese Funktion zu erfüllen.
Nur durch eine Verkürzung des Zeitrahmens der Normalisierung kann die Fed hoffen, das Risiko eines Aufbaus systemischer Risiken zu verringern. Je eher die Fed sich auf den Kampf mit den Märkten einlässt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Märkte die Volkswirtschaft angreifen. Es ist wahr, dass eine steilere Normalisierungskurve einen Aufschrei hervorrufen würde. Aber das wäre einer weiteren verheerenden Krise deutlich vorzuziehen.
To have unlimited access to our content including in-depth commentaries, book reviews, exclusive interviews, PS OnPoint and PS The Big Picture, please subscribe
Many countries’ recent experiences show that boosting manufacturing employment is like chasing a fast-receding target. Automation and skill-biased technology have made it extremely unlikely that manufacturing can be the labor-absorbing activity it once was, which means that the future of “good jobs” must be created in services.
shows why policies to boost employment in the twenty-first century ultimately must focus on services.
Minxin Pei
doubts China’s government is willing to do what is needed to restore growth, describes the low-tech approaches taken by the country’s vast security apparatus, considers the Chinese social-credit system’s repressive potential, and more.
Log in/Register
Please log in or register to continue. Registration is free and requires only your email address.
NEW HAVEN – Es ist inzwischen eine nur allzu vertraute Übung. Nach einer ausgedehnten Phase außergewöhnlich lockerer Geldpolitik hat die US-Notenbank (Fed) sich auf den langen Weg zurück zur Normalität gemacht. Sie hat nun den ersten Schritt getan, um ihren Leitzins – die Federal Funds Rate – auf ein Niveau zurückzuführen, das der US-Volkswirtschaft weder Impulse verleiht noch sie ausbremst.
Eine Mehrheit der Finanzmarktteilnehmer applaudiert dieser Strategie. Tatsächlich ist sie ein gefährlicher Fehler. Die Fed orientiert sich am Skript ihrer letzten Normalisierungskampange – den schrittweisen Zinserhöhungen der Jahre 2004-2006, die auf die ungewöhnlich lockere Geldpolitik der Jahre 2001-2003 folgten. Und genau wie jener frühere Gradualismus den Boden bereitete für die verheerende Finanzkrise und schreckliche Rezession von 2008-2009, besteht derzeit eine wachsende Gefahr eines weiteren Unfalls auf dem wie es aussieht diesmal noch längeren Weg hin zur Normalität.
Das Problem rührt daher, dass die Fed, wie andere wichtige Notenbanken, sich inzwischen zu einer Kreatur der Finanzmärkte statt zu einem Hüter der Realwirtschaft entwickelt hat. Diese Verwandlung begann schon Ende der 1980er Jahre, als die geldpolitische Disziplin der Inflation das Rückgrat brach und die Fed vor neue Herausforderungen gestellt wurde.
Die Herausforderungen der auf die Inflation folgenden Ära erreichten ihren Gipfel während der achtzehneinhalbjährigen Amtszeit von Alan Greenspan als Chairman der Fed. Der Börsenkrach vom 19. Oktober 1987 – gerade mal 69 Tage nach Greenspans Amtseinführung – gab einen Anhaltspunkt auf das, was kommen sollte. In Reaktion auf den Kurssturz bei den US-Aktien von 23% an nur einem Tag unternahm die Fed aggressive Schritte zur Unterstützung des Maklersystems und zum Kauf von Staatspapieren.
Im Nachhinein war dies das Muster für eine Vorgehensweise, die später als „Greenspan-Put“ bekannt werden sollte – massive Liquiditätsspritzen der Fed mit dem Ziel, Verwerfungen an den Finanzmärkten im Gefolge einer Krise einzudämmen. Und angesichts der wiederholten Krisen an den Märkten in den kommenden Jahren – von der Sparkassenkrise der späten 1980er Jahre und dem Golfkrieg (1990-1991) zur Asiatischen Finanzkrise (1997-1998) und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 – entwickelte sich der Greenspan-Put zu einem zentralen Element der marktorientierten Taktik der Fed.
Dieser Ansatz gewann eine zusätzliche Bedeutung Ende der 1990er Jahre, als Greenspan sich in die sogenannten Vermögenseffekte verliebte, die sich aus steigenden Aktienmärkten ziehen ließen. In einer Ära schwacher Ertragsgenerierung und scheinbar chronischer Leistungsbilanzdefizite bestand der Druck, neue Quellen wirtschaftlichen Wachstums zu entdecken. Doch als der steile Anstieg der Aktienkurse sich in eine Blase verwandelte, die dann im Jahr 2000 mit großem Knall platzte, unternahm die Fed aggressive Schritte, um ein Ergebnis wie in Japan – eine anhaltende Phase der Vermögensdeflation, die eine lange Bilanzrezession hätte auslösen können – zu vermeiden.
Subscribe to PS Digital
Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.
Subscribe Now
An diesem Punkt waren die Würfel gefallen. Die Fed reagierte nun nicht länger nur auf idiosynkratrische Krisen und die von diesen ausgelösten Marktstörungen. Sie hatte auch den Vermögensmärkten eine Rolle als eine wichtige Quelle wirtschaftlichen Wachstums gegeben. Die Asset-Economy – eine von steigenden Vermögenspreisen getragene Wirtschaft – nahm schnell eine Position entsprechender Bedeutung in der Gestaltung der geldpolitischen Debatte ein.
Die Fed war damit praktisch dem Monster verfallen, das sie geschaffen hatte. Die logische Folge war, dass sie zugleich zum unerschütterlichen Beschützer der finanzmarktgestützten Fundamente der US-Volkswirtschaft geworden war.
Überwiegend aus diesem Grund sowie aus Furcht vor dem „Japansyndrom“ im Gefolge des Zusammenbruchs der US-Aktienblase verfolgte die Fed während der Phase von 2003-2006 eine übertrieben lockere Geldpolitik. Die Federal Funds Rate wurde bis Juni 2004 auf ihrem 46-Jahres-Tief von 1% gehalten, bevor sie dann während des Zweijahreszeitraums von Mitte 2004 bis Mitte 2006 17-mal in kleinen Schritten um jeweils 25 Basispunkte angehoben wurde. Doch es war genau während jener Phase einer allmählichen Normalisierung und anhaltend lockeren Geldpolitik, dass eine ungebremste Risikobereitschaft die Saat der großen Krise bereitete, die bald kommen würde.
Im Laufe der Zeit ist das Dilemma der Fed zunehmend unhaltbar geworden. Die Krise und Rezession von 2008-2009 waren schlimmer als ihre Vorgänger, und die Nachbeben deutlich schmerzlicher. Doch da die US-Notenbank bei ihrer Unterstützung der Asset Economy wiederholt nachgelegt und den Leitzins bis auf null abgesenkt hatte, war ihr die traditionelle Munition ausgegangen.
Und daher verlegte sich die Fed unter Ben Bernankes Führung auf die Liquiditätsspritzen der quantitativen Lockerung, die sie noch mehr zu einer Kreatur der Finanzmärkte machten. Da der Zinsübertragungsmechanismus der Geldpolitik an der Nullgrenze nicht länger wirksam war, wurden die Vermögensmärkte als Stütze der Volkswirtschaft wichtiger denn je. Die außergewöhnlich niedrige Inflation war der Zuckerguss auf dem Kuchen – sie bot der Fed bei der Verfolgung ihrer Inflationsziele jede Menge Spielraum, um mit unkonventionellen Strategien zu experimentieren und zugleich negative Zinsfolgen am inflationssensiblen Anleihemarkt zu vermeiden.
Die heutige Fed hat die zutiefst verfestigten Risiken systemischen Fehlverhaltens der Asset-Economy geerbt. In vorsichtigen, stark durch Vorbehalte geprägten Formulierungen signalisiert sie einen im Vergleich zu ihrer Normalisierungsstrategie von vor einem Jahrzehnt deutlich stärkeren Gradualismus. Die Debatte auf den Märkten konzentriert sich darauf, ob es zwei oder eher drei Zinserhöhungen von jeweils 25 Basispunkten pro Jahr geben wird – was nahelegt, dass es bis zu vier Jahre dauern könnte, um die Federal Funds Rate wieder auf ihren Normwert von 3% zu bringen.
Doch wie die Erfahrung der Jahre 2004-2007 gezeigt hat, schafft die überzogene Liquidität, die durch eine allmähliche Normalisierung ausgelöst wird, eine Neigung der Finanzmärkte zu Exzessen und Unfällen. Angesichts der Aussichten auf eine deutlich längere Normalisierung sind diese Risiken umso bedenklicher. Frühzeitige Warnsignale von Problemen auf hocherträglichen Märkten, bei den Schuldverschreibungen der Schwellenländer und Zinsderivaten der Eurozone sind diesbezüglich besonders besorgniserregend.
Je länger die Fed in dieser Denkweise gefangen bleibt, desto ernster wird ihr Dilemma – und desto größer die systemischen Risiken an den Finanzmärkten und in der von den Vermögenspreisen abhängigen US-Wirtschaft. Es wird einer leidenschaftlich auf ihre Unabhängigkeit bedachten Notenbank bedürfen, um die Realwirtschaft von den Märkten zu entwöhnen. Eine Fed, die in der politischen Ökonomie der Wachstumsdebatte gefangen ist, ist nicht in der Lage, diese Funktion zu erfüllen.
Nur durch eine Verkürzung des Zeitrahmens der Normalisierung kann die Fed hoffen, das Risiko eines Aufbaus systemischer Risiken zu verringern. Je eher die Fed sich auf den Kampf mit den Märkten einlässt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Märkte die Volkswirtschaft angreifen. Es ist wahr, dass eine steilere Normalisierungskurve einen Aufschrei hervorrufen würde. Aber das wäre einer weiteren verheerenden Krise deutlich vorzuziehen.
Aus dem Englischen von Jan Doolan