haass68_Jung Yeon-Je_AFP_Getty Images_north korea Jung Yeon-Je/AFP/Getty Images

Die kommende Konfrontation mit Nordkorea

KIEW – Stellen Sie sich vor, wir schreiben das Jahr 2020. Der Direktor der CIA bittet um einen dringlichen Termin beim US-Präsidenten. Der Grund: Nordkorea hat es geschafft, eine Atombombe zu bauen, die in die Spitze einer Interkontinentalrakete passt, deren Reichweite sich bis zu den Vereinigten Staaten erstreckt. Die Nachricht gelangt nach kurzer Zeit an die Öffentlichkeit. Hochrangig besetzte Konferenzen finden nicht nur in Washington, sondern auch in Seoul, Tokio, Peking und Moskau statt.

Dieses Szenario mag heute vielleicht unwirklich erscheinen, dennoch hat es mehr mit Politikwissenschaft als mit Science Fiction zu tun. Nur wenige Tage nachdem man mehrere  Raketentests über die Bühne gebracht hatte, führte Nordkorea kürzlich den fünften (offenbar erfolgreichen) Test eines nuklearen Sprengkörpers durch. Ohne größere Intervention ist es nur noch eine Frage der Zeit bis Nordkorea sein nukleares Arsenal aufstockt (das derzeit schätzungsweise 8-12 Sprengkörper umfasst) und herausfindet, wie man Atomwaffen so klein baut, dass sie in eine Rakete zunehmender Reichweite und Präzision passen.

Würde Nordkorea - die am stärksten abgeschottete und militarisierte Gesellschaft der Welt - diese Grenze überschreiten, sind die damit verbundenen Risiken gar nicht hoch genug einzustufen. Ein Nordkorea, das in der Lage wäre, das Territorium der USA zu bedrohen, käme möglicherweise zu dem Schluss, dass es vom US-Militär wenig zu befürchten hätte. Diese Einschätzung könnte das Land zu einem konventionellen, nicht-atomaren Angriff auf Südkorea bewegen. Selbst wenn ein derartiger Krieg mit einer Niederlage Nordkoreas endete, wäre er in jedem Fall außerordentlich verlustreich.

Allerdings müsste Nordkorea keinen Krieg beginnen, um seinen Ambitionen in den Bereichen Atomwaffen und Raketen wirklich Nachdruck zu verleihen. Kämen Südkorea oder Japan jemals zur Erkenntnis, Nordkorea sei in der Lage, eine amerikanische Beteiligung an einem Krieg auf der Halbinsel zu verhindern, würden sie das Vertrauen in die Sicherheitsgarantien der USA verlieren und möglicherweise die Entwicklung ihrer eigenen Atomwaffen in Erwägung ziehen. Derartige Entscheidungen würden China auf den Plan rufen und die Voraussetzungen für eine regionale Krise oder gar einen Konflikt in jenem Teil der Welt mit der höchsten Konzentration an Menschen, Wohlstand und Militärmacht schaffen.

Darüber hinaus besteht noch eine weitere Gefahr. Ein finanziell klammes Nordkorea könnte versucht sein, Atomwaffen an den Bestbieter zu verkaufen, ob es sich dabei nun um eine terroristische Gruppe oder um ein Land handelt, das ebenfalls zur Entscheidung gelangt, die ultimative Waffe besitzen zu müssen. Definitionsgemäß erhöht nukleare Weiterverbreitung die Chance weiterer nuklearer Weiterverbreitung - und damit auch die eines Einsatzes von Kernwaffen.  

Die USA verfügen durchaus über Handlungsoptionen, wobei jedoch keine besonders attraktiv erscheint. Im Hinblick auf Verhandlungen besteht wenig bis gar kein Grund zur Annahme, Nordkorea würde die aus seiner Sicht beste Überlebensgarantie aufgeben. Tatsächlich hat Nordkorea Verhandlungen häufig dazu benutzt, Zeit für den weiteren Ausbau seiner Kapazitäten in den Bereichen Atomwaffen und Raketen zu gewinnen.

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Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit einer Version der aktuellen Politik umfassender Sanktionen fortzufahren. Das Problem dabei ist allerdings, dass Sanktionen nicht reichen werden, um Nordkorea zur Aufgabe seiner Atom- und Raketenprogramme zu zwingen. Teilweise liegt der Grund dafür bei China, das im Falle eines Zusammenbruchs Nordkoreas umfangreiche Flüchtlingszuströme und ein vereintes Korea in Amerikas strategischer Machtsphäre befürchtet und deshalb höchstwahrscheinlich weiterhin dafür sorgen wird, dass Nordkorea die notwendigen Treibstoff- und Nahrungsmittellieferungen auch bekommt.  

Aus diesem Grund hat es mehr Sinn, sich auf die Diplomatie mit China zu konzentrieren. Die USA sollten nach engen Beratungen mit Südkorea und Japan mit offiziellen Vertretern Chinas zusammentreffen und erörtern, wie ein vereintes Korea aussehen könnte, um damit einigen der chinesischen Bedenken Rechnung zu tragen. Ein vereintes Korea könnte beispielsweise zu einer atomfreien Zone erklärt werden und auf der Halbinsel verbleibende US-Streitkräfte könnten zahlenmäßig reduziert weiter in den Süden verlegt werden.

Es ist freilich durchaus möglich oder sogar wahrscheinlich, dass derartige Zusicherungen nicht zu einer substanziellen Verminderung der chinesischen Unterstützung Nordkoreas führen. In diesem Fall hätten die USA drei weitere Möglichkeiten. Eine davon wäre, mit einem Nordkorea zu leben, das sich im Besitz von Raketen befindet, die Atombomben auf amerikanisches Territorium befördern können. Politisch würde man auf Verteidigung (die Entsendung zusätzlicher Raketenabwehrsysteme) und Abschreckung setzen sowie auf Nordkoreas Einsicht,   dass jeder Einsatz oder die Verbreitung von Atomwaffen zum Ende des Regimes und möglicher atomarer Vergeltung führen würde. Auch der Einsatz von Cyberwaffen käme in Frage, um den Fortschritt des nordkoreanischen Programms zu behindern und zu erschweren.

Die zweite Möglichkeit wäre ein konventioneller militärischer Angriff, der auf die nordkoreanischen Kapazitäten in den Bereichen Atomwaffen und Raketen abzielt. Dabei besteht die Gefahr, dass mit einem derartigen Schlag nicht alle Angriffsziele erreicht werden, weswegen ein konventioneller Militärschlag gegen Südkorea (wo beinahe 30.000 amerikanische Soldaten stationiert sind) oder gar ein atomarer Angriff aus dem Norden folgen könnte. Selbstverständlich müssten sich Japan und Südkorea bereit zeigen, eine militärische Antwort der USA zu unterstützen, bevor man zur Tat schreitet.

Die dritte Option bestünde darin, einen derartigen konventionellen Militärschlag nur dann auszuführen, wenn die Ergebnisse der Aufklärung zeigen, dass Nordkorea seine Raketen in Alarmbereitschaft versetzt und für einen unmittelbar bevorstehenden Einsatz bereit macht. Dabei würde es sich um einen klassischen Präventivschlag handeln. Die Gefahr dabei ist, dass die Ergebnisse der militärischen Aufklärung womöglich nicht ausreichend klar sind – oder nicht früh genug zur Verfügung stehen.

Alle diese Überlegungen führen uns nun wieder zu dem eingangs erwähnten fiktiven Tag im Jahr 2020. In Anbetracht der Unklarheiten scheint nur eines so gut wie sicher: wer immer auch im November die Präsidentenwahlen gewinnt, wird zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer oder seiner Amtszeit vor einer schicksalshaften Entscheidung im Zusammenhang mit Nordkorea stehen.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

https://prosyn.org/2vtf8rode