santos9_Alexis RosenfeldGetty Images_coraldiverbiodiversity Alexis Rosenfeld/Getty Images

Den Friedensnobelpreis an Naturschützer!

BOGOTÁ – Die Artenvielfalt und die Leistungen der Natur für die Menschen gehen weltweit so schnell zurück wie nie zuvor. Die Ausrottung von Arten beschleunigt sich, was für die menschliche Gesundheit, Ernährungs- und Wasserversorgung sowie die Verringerung der Armut schwerwiegende Folgen hat.

Mit der einen Million Tier- und Pflanzenarten, die heute vom Aussterben bedroht sind, müssen wir uns solidarisch zeigen. Die Natur ist für die weltweit 7,8 Milliarden Menschen eine Lebensversicherung: Wenn wir sie schützen, verteidigen wir damit auch eine unersetzbare wirtschaftliche Ressource. Laut einem Bericht des Weltwirtschaftsforums vom Januar 2020 hängt über die Hälfte des weltweiten BIP von „Naturdienstleistungen“ wie Bestäubung, Wasserreinigung und Seuchenschutz ab. Der Schutz der Artenvielfalt und der Ökosysteme gibt uns daher Sicherheit gegen eine Vielfalt von Bedrohungen – von Lebensmittel- und Wasserversorgungskrisen bis hin zu gewalttätigen Konflikten, die durch Ressourcenknappheit ausgelöst werden.

Die Jahre 2021 und 2022 werden Meilensteine der globalen Bemühungen um den Schutz und die Wiederherstellung der Natur sein. Der alle vier Jahre stattfindende Weltnaturschutzkongress der Weltnaturschutzunion in Marseille im letzten Monat hat den Weg für die Artenvielfaltskonferenz der Vereinten Nationen im chinesischen Kunming bereitet (der in zwei Teilen stattfindet, zuerst im Oktober und dann im nächsten April). Es wird erwartet, dass politische Vertreter aus aller Welt dort ehrgeizige neue Rahmenbedingungen zum Schutz der Natur schaffen.

Leider bekommt die Naturzerstörung, ihre schrecklichen weltweiten Folgen für die Menschen und ihre Beeinträchtigung von Frieden und Sicherheit in der Öffentlichkeit immer noch zu wenig Aufmerksamkeit und Verständnis. Während der Klimawandel zu Recht als größte Herausforderung unserer Zeit erkannt wurde, wird der Verlust der Artenvielfalt vergleichsweise wenig beachtet – obwohl auch er eine drängende und existenzielle Bedrohung für die menschliche Gesellschaft darstellt.

Tatsächlich sind Klimawandel und Verlust an Artenvielfalt untrennbar miteinander verbunden. Beide beschleunigen sich, und beide haben bereits ein Niveau erreicht, das es in der menschlichen Geschichte noch nie gab. Wir stehen jetzt an einem Wendepunkt der Generationen. Dies ist unsere beste Chance, beide Probleme als Teile einer miteinander verbunden Krise zu lösen. Wollen wir dabei erfolgreich sein, müssen Bürger und Politiker ein besseres wissenschaftliches Verständnis des Problems entwickeln, damit wir die Natur evidenzbasiert nutzen und Veränderungen durchführen können, die wir für einen nachhaltigere und friedlichere Zukunft der Menschen und des Planeten brauchen.

Dass der Friedensnobelpreis 2007 an den Klimarat IPCC für seine wissenschaftliche Arbeit ging, war entscheidend dafür, dass die globale Erwärmung an die Spitze der globalen politischen Agenda rückte. Danach wurde es für Klimawandelleuger immer schwieriger, in öffentlichen Debatten oder politischen Kreisen glaubwürdig zu erscheinen. Nun sollten wir versuchen, das gleiche Momentum für die Artenvielfalt zu erreichen.

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Dafür haben wir den Regierungsübergreifenden Weltbiodiversitätsrat IPBES für den Friedensnobelpreis 2021 vorgeschlagen, dessen Gewinner am 8. Oktober bekannt gegeben wird.

Der IPBES war entscheidend daran beteiligt, die besten verfügbaren Untersuchungen und Beweise für den Verlust an Artenvielfalt und seine Folgen für die Menschheit zusammen zu stellen. Inspiriert vom IPCC wurde er zur glaubwürdigsten weltweiten Autorität in diesem Bereich. Er stärkt unsere Wissensgrundlage und liefert Politikern die nötigen Informationen, die sie brauchen, um bessere Entscheidungen treffen und sich höhere Naturschutzziele setzen zu können.

Wie der IPCC umfasst auch der IPBES mit seiner Arbeit einen weiten Themenbereich, der sich direkt auf das Leben und den Lebenserwerb von Milliarden von Menschen auswirkt. Unter anderem hat er Gefahren für Bestäuber und die Ernährungssicherheit ins Rampenlicht gerückt, Trends bei der Degradierung von Land dokumentiert und den Zustand der Artenvielfalt in allen weltweiten Regionen bewertet, um damit die Gefahr der Ausrottung von Arten zu verringern.

Bekäme der IPBES den Friedensnobelpreis 2021, wäre dies ein klares Signal über den Wert der Natur, unser Vertrauen in die Wissenschaft und die Notwendigkeit der Erkenntnisse aus unterschiedlichen Wissenssystemen. So könnten wir – zu einem entscheidenden Zeitpunkt – die Bemühungen gegen die Entwertung von Ökosystemen und den Verlust der Artenvielfalt fördern; Wissenschaftler in aller Welt dazu ermutigen, weiter unermüdlich daran zu arbeiten; und zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen.

Um der Welt klarzumachen, dass sich die Natur in Not befindet und die Wissenschaft die nötigen Lösungen dagegen bieten kann, gibt es keinen besseren Moment.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/D7wSXUIde