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Die Neuerfindung der Photosynthese

PASADENA – Jahrzehntelang ging es bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien – und in der politische Debatte dazu – hauptsächlich um die Erzeugung von Elektrizität. Aber über 60% der weltweiten Energieversorgung erfolgt ohne zwischengeschaltete Umwandlung in Strom direkt über chemische (hauptsächlich fossile) Treibstoffe. Keine realistische Maßnahme gegen Kohlenstoffemissionen im Kampf gegen die globale Erwärmung kann diese grundsätzliche Einschränkung ignorieren.

In der Tat können in den Vereinigten Staaten und anderen Industrienationen viele Anwendungen, die auf fossilen Treibstoffen beruhen (wie Flugverkehr oder Aluminiumproduktion) nicht so umgestaltet werden, dass sie mit Strom funktionieren. Darüber hinaus werden fossile Brennstoffe auch zur Stromerzeugung benötigt – sowohl zur Befriedigung der Nachfrage, als auch dazu, die Unterbrechungen bei der Stromversorgung durch erneuerbare Energien wie Wind- oder Solarstrom zu überbrücken. Gibt es wirklich eine skalierbare Alternative mit geringem Kohlenstoffausstoß?

Ein vielversprechender Ansatz ist die künstliche Photosynthese, die nichtbiologische Materialien verwendet, um Treibstoff direkt aus Sonnenlicht zu gewinnen. Die Sonne ist eine fast unerschöpfliche Energiequelle, und Energie, die – wie in fossilen Brennstoffen – chemisch gebunden ist, ist leicht zugänglich, effizient und bequem. Künstliche Photosynthese kombiniert diese Eigenschaften in einer praktikablen Technologie, die Versorgungssicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Stabilität verspricht.

Die natürliche Photosynthese stellt zwar ein komplexes, elegantes Vorbild für die Produktion chemischer Brennstoffe durch das Sonnenlicht dar, hat aber deutliche Leistungsgrenzen. Nur etwa ein Zehntel der Maximalenergie der Sonne wird genutzt, aufs Jahr hochgerechnet beträgt die Effizienz der Nettoenergieumwandlung weniger als 1%. Große Mengen von Energie werden intern dazu benötigt, die exquisite molekulare Funktionsweise der Photosynthese zu regenerieren und aufrecht zu erhalten; und die Energie wird in chemischen Brennstoffen gespeichert, die mit den bestehenden Energieverbrauchssystemen nicht kompatibel sind.

Die künstliche Photosynthese dagegen hat, inspiriert von ihrer natürlichen Variante, das Potenzial für deutlich bessere Leistung gezeigt und kann Energie in einer Form erzeugen, die innerhalb unserer momentanen Energieinfrastruktur nutzbar ist. Darüber hinaus würde ein vollständig künstliches System weder Anbauland oder Trinkwasser verbrauchen, noch in der Landnutzung eine Entscheidung zwischen Lebensmittel- und Brennstoffproduktion erfordern.

Bereits jetzt können bestehende Energietechnologien so kombiniert werden, dass sie – indirekt über das Sonnenlicht – auf effiziente Weise chemische Brennstoffe erzeugen, aber noch nicht in einer Zusammensetzung, die gleichzeitig praktisch, skalierbar und wirtschaftlich vernünftig ist. Die Gesamteffizienz eines voll integrierten Sonne-Treibstoff-Energiekonvertierungssystems kann über zehnmal größer sein als die energieeffizientesten biologischen Systeme, aber für kommerzielle Verwendung sind die Kapitalkosten zu hoch. Die höchste Priorität der Forscher muss daher sein, einen Solartreibstoffgenerator zu entwickeln, der kosteneffektive Skalierbarkeit mit Robustheit und Effizienz verbindet.

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Der Schlüssel zur Entwicklung eines solchen Systems liegt darin, auf der Erde reichlich vorhandene Materialien zu verwenden, die die entscheidenden Funktionen der Absorption von Licht und der Treibstoff erzeugenden chemischen Reaktionen ausführen können. Um ähnlich wie das Chlorophyll in der der natürlichen Photosynthese Licht absorbieren zu können, werden auch in künstlichen Systemen passende Materialien zum Einfangen und Umwandeln von Sonnenlicht benötigt. Obwohl die Lichtabsorptionsfähigkeit von Silizium für photovoltaische Anlagen ausreicht, sind die etwa 0,5 Volt, die dadurch erzeugt werden, für die Aufspaltung von Wasser in einem Solartreibstoffgenerator zu schwach.

Außerdem erfordert ein künstliches System Katalysatoren, um die effiziente Produktion chemischer Brennstoffe auszulösen. Diese Katalysatoren müssen sehr aktiv und stabil sein und zum Zweck globaler Skalierbarkeit aus gängigen Materialien wie Eisen, Nickel oder Kobalt bestehen, und nicht aus seltenen Metallen wie Ruthenium oder Iridium, die momentan verwendet werden.

Zudem müssen die Systemkomponenten so integriert sein, dass sie unter standardisierten Betriebsbedingungen optimal funktionieren. Zu einem einsatzbereiten System gehören auch kosteneffektive Architektur, Produktionsprozesse und Installationsmethoden.

Und am wichtigsten ist, dass solche Systeme gefahrlos funktionieren. In den meisten Anwendungen künstlicher Photosynthese werden energiereiche Brennstoffe gemeinsam mit Sauerstoff produziert, was zu gefährlichen explosiven Mischungen führt. Membrane oder andere physische oder chemische Barrieren müssen entwickelt werden, um die Produkte verlässlich voneinander zu trennen. Eine solche Aufteilung würde auch verhindern, dass die Produkte vor der Verwendung durch komplizierte Verarbeitungsmethoden getrennt werden müssen.

Wie also würde ein künstliches Photosynthesesystem aussehen? Nicht wie ein Solarmodul mit Elektrolyseeinheit, sondern eher wie eine dünne Rolle übereinander liegender plastikartiger Schichten, die bei Bedarf aufgerollt werden können, ähnlich wie die Funktionsmaterialien in Regenjacken. Die oberste Schicht absorbiert Wasser und Kohlendioxid aus der Luft, und die nächste, Licht absorbierende Schicht nimmt die Sonnenenergie auf, um den Brennstoff herzustellen. Durch die Membran entweicht der Brennstoff nicht in die Luft, sondern sickert durch den Boden des Materials in einen Sammeltank, um dann bei Bedarf in unsere bestehende Energieversorgungsinfrastruktur eingespeist zu werden.

Idealerweise sollte dieser Prozess bei der Art der durch Sonnenlicht hergestellten chemischen Brennstoffe flexibel sein. In seiner einfachsten Ausprägung sorgt er für die Aufteilung von Wasser in die Gase Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff könnte beispielsweise durch zusätzliche Mittel wie Kohlendioxid aus Abgasen in einen Flüssigbrennstoff umgewandelt werden, der dann in Transportsystemen verwendet wird. Alternativ kann das Kohlendioxid wie in natürlichen Photosynthesesystemen durch Katalysatoren direkt chemisch reduziert werden, in diesem Fall zu Methan oder Methanol. Die effektivsten Systeme wären in der Lage, direkt gasförmige oder flüssige Treibstoffe zu liefern.

Jüngste Fortschritte in der Nanowissenschaft, Materialwissenschaft, Chemie und Physik haben die Werkzeuge bereitgestellt, um in diesem Bereich schnelle Fortschritte zu machen. Das Ergebnis könnte eine saubere Technologie zur Energieerzeugung sein, die sich in Reichweite befindet und die Grundlage für eine sichere und nachhaltige Energiezukunft legt.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/D5s6YXhde