Modelle psychischer Erkrankungen

Dienstleistungen im Bereich der psychischen Gesundheit basieren weitgehend auf der Annahme, dass Aufgeregtheit oder Disorientierung Krankheiten sind wie andere Krankheiten auch. Hier in Australasien haben wir diese Sichtweise aus dem Ausland übernommen und von Maoris und Aborigines verfolgte, stärker holistisch ausgerichtete Ansätze in Bezug auf psychisches Leid aktiv unterdrückt. Wir taten dies, obwohl zahlreiche Studien belegen, dass die Gesundungsraten bei „Geisteskrankheiten“ in „unterentwickelten“ Ländern deutlich höher liegen als in „fortschrittlichen“ Gesellschaften.

Mehr und mehr Probleme werden heutzutage zu angeblich durch genetische Veranlagung und biochemische Ungleichgewichte verursachten „Funktionsstörungen“ oder „Krankheiten“ umdefiniert. Lebensereignisse werden zu bloßen Auslösern einer unterschwelligen biologischen Zeitbombe abgewertet.

Traurigkeit ist damit zu einer „depressiven Störung“ geworden. Übermäßige Besorgtheit ist eine „Angststörung“. Wer peinlich schüchtern ist, leidet unter einer „selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung“, und wer andere zusammenschlägt, an einem „Wutsyndrom“. Auch exzessives Glücksspiel, Trinken, Einnehmen von Drogen oder Essen sind Krankheiten; und dasselbe gilt, wenn jemand zu wenig isst, schläft oder Sex hat. Unser Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Diagnostisches und statistisches Handbuch der geistigen Störungen) umfasst 886 Seiten von derartigen Krankheiten. Ungewöhnliche oder unerwünschte Verhaltensweisen werden „Symptome“ genannt und die verwendeten Etiketten „Diagnosen“.

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