Wer gewinnt den Kalten Krieg im Nahen Osten?

LONDON – An einem sehr heißen Ort findet momentan ein Kalter Krieg statt. Eine Schlüsselkomponente des sektiererischen Wettstreits zwischen dem schiitischen und dem sunnitischen Islam ist geopolitischer Natur. Der Iran kämpft gegen Saudi-Arabien und dessen verbündete Golfstaaten um regionale Dominanz.

Wie im ursprünglichen Kalten Krieg zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gab es – zumindest bis jetzt – keine direkte militärische Konfrontation der beiden Hauptrivalen. Der Krieg wird auf diplomatischer, ideologischer und wirtschaftlicher Ebene geführt, insbesondere auf den Ölmärkten, und durch Stellvertreterkriege, beispielsweise in Syrien und im Jemen. Im Nahen und Mittleren Osten gibt es kaum Probleme, die sich nicht auf die Machtrivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zurückführen lassen.

Im Moment scheinen die Iraner im Aufwind zu sein. Nach der Entscheidung des Obersten Religionsführers Ayatollah Ali Khamenei, einem internationalen Abkommen zur Beschränkung des iranischen Atomprogramms auf friedliche Zwecke zuzustimmen, wurden die westlichen Sanktionen weitgehend aufgehoben. Jetzt, wo mit dem Iran wieder Geschäfte gemacht werden dürfen, steht dessen kränkelnde Wirtschaft vor einem Aufschwung. Unterdessen geht die schleichende iranische De-Facto-Besatzung von Teilen des Irak – erstaunlicherweise mit amerikanischer Billigung – weiter, da sich mit Ausnahme des so genannten „Islamischen Staats“ niemand traut, etwas dagegen zu unternehmen.

Auch hat der Iran mit einer geschätzten Bevölkerungszahl von 77 Millionen gegenüber den saudischen 28 Millionen einen überwältigenden Vorteil. Seine Armee ist zwar viel weniger gut ausgerüstet ist als die seines Gegners, aber sie ist viel größer. Darüber hinaus wurde Irans arabischem Hauptverbündeten, dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, eine Atempause gewährt, während der Konflikt in seinem Land ohne Lösung weitergeht.

Angesichts dieser Entwicklungen fühlen sich die Saudis verlassen und verletzlich. Sie glauben, ihr großer traditioneller Verbündeter, die USA, hätte sie mit dem iranischen Nuklearabkommen verraten. Unterdessen fürchten sie auch, das Chaos im benachbarten Irak könnte sie dauerhaften strategischen Risiken aussetzen.

Ebenso müssen die Saudis massive Kritik an ihrem wahhabititschen Islam einstecken, der allgemein beschuldigt wird, ein Nährboden für Extremismus und Terrorismus zu sein. Auch die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien wird ständig kritisiert, darunter die Tatsache, dass das Land die Grundrechte der Frauen ignoriert.

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Vor diesem Hintergrund führt das Königreich seinen Krieg im Ausland. König Salman bin Abdulaziz Al Saud kann sich als Herrscher gerade noch über Wasser halten, und sein Sohn, Prinz Mohammed bin Salman Al Saud, verfügt über einen Großteil der Macht.

Als Verteidigungsminister hat Mohammed gemeinsam mit der Türkei die saudische Politik der Unterstützung assadfeindlicher Rebellen in Syrien fortgesetzt und im Jemen einen Krieg gegen iranfreundliche Stämme begonnen (zu einem enormen humanitären Preis). Ebenso hat er die zunehmende Unterdrückung im Inland vielleicht nicht selbst verursacht, aber doch unterstützt, und er hat eine wirtschaftliche Offensive gegen den Iran gestartet – deren jüngster Effekt die fallenden Ölpreise sind.

Anfang Mai wurde der langjährige saudische Ölminister Ali al-Naimi durch Khalid al-Falih ersetzt, einen Vertrauten Mohammeds. Dieser Austausch ist ein Zeichen für dessen Entschlossenheit, den Ölpreis als Waffe gegen den Iran und dessen Verbündeten Russland einzusetzen. Als weltweiter Ausgleichsproduzent kann Saudi-Arabien mit seinen endlosen Reserven billig förderbaren Öls den Markt nach Belieben fluten oder austrocknen.

Und im Moment fluten die Saudis den Markt. Sie versuchen, den Iran und Russland im Zaum zu halten, die beide höhere Ölpreise benötigen, um ihr Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten. Und sie hoffen, die US-Schieferölproduzenten, die Amerikas Abhängigkeit von Öl aus dem Nahen Osten verringert haben, in den Bankrott treiben zu können. Wie Mohammed kürzlich erklärte, schert sich das Königreich nicht um Ölpreise: „Ob 30 oder 70 Dollar, das ist uns völlig egal.“ Iran und Russland hingegen benötigen für ein Fass Öl mindestens 70 Dollar.

Die US-Ölindustrie hat sich als anpassungs- und widerstandsfähiger als erwartet herausgestellt: Zwar mussten einige Schieferfelder schließen, aber neue und billigere wurden eröffnet. Aber die Öloffensive der Saudis hat dazu beigetragen, Iran und Russland davon zu überzeugen, Assad trotz dessen Protesten an den Verhandlungstisch zu bringen.

Mohammeds neuer Wirtschaftsplan, Vision 2030, der im Mai vorgestellt wurde, dient als weitere Front im Wirtschaftskrieg, an der gezeigt werden soll, dass Saudi-Arabien im Gegensatz zum Iran und Russland gegen wirtschaftlichen Druck aus dem Inland immun ist. Der Plan umfasst wirtschaftliche Diversifizierung und sieht die Einführung eines riesigen Staatsfonds vor, um den Rückgang der Öleinnahmen abzufedern, mit denen sich die Regierungselite traditionell den sozialen Frieden erkauft.

Diese Strategie der Saudis ist nicht umsonst zu haben. Die Überweisungen an Ägypten (das nach den jüngsten Terroranschlägen und dem Ausbleiben der Touristen selbst unter wirtschaftlichem Druck steht) wurden von ehemals zehn Milliarden Dollar jährlich auf etwa drei Milliarden gekürzt. Und die Finanzhilfen für den Libanon wurden fast völlig eingestellt.

Und trotzdem ist das langfristige Ergebnis dieses Kalten Krieges nicht leicht vorherzusehen. Iran und Russland können in der arabischen Welt nie mehr als Stellvertretermächte sein. Die Schia mag zwar im Irak, in Syrien und im Libanon (über die Hisbollah) weiter Einfluss ausüben, aber darüber hinaus ist sie nicht wettbewerbsfähig. Etwa 90% der Araber sind sunnitische Muslime und damit potenzielle saudische Verbündete.

Die Saudis könnten es sich leisten, erwachsener und weniger misstrauisch zu reagieren, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Die USA wiederum sollten Schritte ergreifen, um sie zu beruhigen – aber dabei nie den Druck zur Verbesserung der Menschenrechte und zur Einführung politischer und wirtschaftlicher Reformen verringern.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

https://prosyn.org/VQu48PTde