sinn100_Carsten KoallGetty Images_merkel Carsten Koall/Getty Images

Angela Merkel: Getragen vom Wind der Geschichte

MÜNCHEN – Nach 16 Jahren tritt Angela Merkel von ihrem Amt als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zurück. Während in anderen Ländern die Präsidenten und Premierminister kamen und gingen, gelang es ihr, ihr Amt vier Wahlperioden lang mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung zu behaupten.

Merkel wuchs als Kind eines evangelischen Pfarrers auf, der aus Überzeugung von Westdeutschland in die kommunistische DDR ausgewandert war, genoss dort mit ihrer Familie Privilegien, durfte in der DDR studieren, nach Moskau reisen  und gehörte bis zum Alter von 35 Jahren in der FDJ zur kommunistischen Jugendelite ihres Landes. Als die westdeutsche CDU sich für den bevorstehenden Wahlgang im Jahr 1991 in den neuen Bundesländern etablierte, gewann Helmut Kohl die geschickte Nachwuchspolitikerin für seine Partei. Von dort aus kam sie mit seiner Unterstützung sogleich in höchste Staatsämter und wurde nach ihm die Vorsitzende der CDU. Später, im Jahr 2005, gelang es ihr, Gerhard Schröder als Kanzler abzulösen. Eine Erdung im marktwirtschaftlichen System konnte sie zu keinem Zeitpunkt ihrer Karriere  erlangen.

Dennoch trat sie beim Wahlkampf gegen Schröder mit einem strammen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprogramm an, mit Hilfe dessen sie die von Schröder bereits durchgesetzten Arbeitsmarktreformen zu erweitern versprach. Wegen der hohen Lohnersatzleistungen des Sozialsystems stand Deutschland Anfang der 2000er Jahre bei der Arbeitslosigkeit der gering Qualifizierten an der Spitze aller Industrieländer, hatte zeitweilig das niedrigste Wachstum der EU  und galt als der kranke Mann Europas. Die Schröderschen Reformen waren ein Riesenerfolg, denn sie ließen das Land in den nachfolgenden Jahren wirtschaftlich gesunden und reduzierten die Arbeitslosigkeit in allen Segmenten des Arbeitsmarktes.

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