Merkantilismus neu betrachtet

CAMBRIDGE, MASS.: Ein Geschäftsmann kommt in das Büro eines Ministers und erklärt, er brauche Hilfe. Was sollte der Minister tun? Ihm eine Tasse Kaffee anbieten und fragen, was die Regierung für ihn tun könne? Oder ihn hinauswerfen, gemäß dem Grundsatz, dass die Regierung keine Gefälligkeiten an Unternehmen verteilen sollte?

Diese Frage stellt einen Rorschachtest für Politiker und Ökonomen dar. Auf der einen Seite stehen die Verehrer des freien Marktes und die neoklassischen Ökonomen, die an eine klare Trennung von Staat und Wirtschaft glauben. Ihrer Ansicht nach ist es die Rolle der Regierung, klare Regeln und Verordnungen festzulegen und anschließend die Unternehmen selbst sehen zu lassen, wie sie zurechtkommen. Öffentliche Funktionsträger sollten Abstand zu privaten Interessen wahren und sich nie bei ihnen Liebkind machen. Den Ausschlag gäben die Verbraucher, nicht die Produzenten.

Diese Ansicht spiegelt eine ehrwürdige Tradition wider, die bis zu Adam Smith zurückreicht und noch heute eine stolze Stellung in den Ökonomielehrbüchern einnimmt. Sie ist zugleich die Warte, von der aus die Regierungsführung in den USA, Großbritannien und anderen nach angelsächsischem Muster organisierten Gesellschaften überwiegend betrachtet wird – obwohl die Praxis häufig von den idealisierten Grundsätzen abweicht.

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