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Britannia umnachtet

LOS ANGELES – Es gibt diverse Denkrichtungen in Bezug auf den freien Markt. Adam Smith hielt ihn für einen Zweig der Moralphilosophie. Für Ayn Rand war es ein Zweig der Pop-Philosophie. Milton Friedman höchstpersönlich würde als erster zugeben, dass der Kapitalismus des freien Marktes idealistisch ist. In der Vorstellung, dass eine freie, wohlhabende Gesellschaft entstehen würde, wenn das Kapital einfach von allen Einschränkungen befreit wird, ist sicherlich ein utopisches Element enthalten.

Doch wer Britannia Unchained („Britannien entfesselt“) liest – das Manifest von 2012, das die britische Premierministerin Liz Truss und ihr Schatzkanzler Kwasi Kwarteng zusammen mit anderen konservativen Abgeordneten verfasst haben –, wird stattdessen eine bemerkenswert dystopische Vision der freien Marktwirtschaft finden.

Abgesehen von der Warnung, dass eine höhere Staatsverschuldung die Zinsen in die Höhe treiben und die Investitionen bremsen könnte – was Truss und Kwarteng ironischerweise bei der Zusammenstellung ihres „Minihaushalts“ außer Acht gelassen haben – ist Britannia Unchained von der wirtschaftlichen Realität abgekoppelt. Stattdessen ist es eine seltsame Kombination aus viktorianischen Selbsthilfeklischees, Rand'schen Plattitüden und inkongruenten Halbwahrheiten, die in einem merkwürdigen Stream of Conciousness präsentiert werden.

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