velasco84_Marco Longari_AFP_Getty Images_Obama Mandela Lecture Marco Longari/AFP/Getty Images

Das Versprechen liberaler Identitätspolitik

SANTIAGO – Wenn man heutzutage das Wort „Identitätspolitik“ in den Mund nimmt, läuft man Gefahr, einen Streit auszulösen. Für die amerikanische Linke ist praktisch jede Politik Identitätspolitik. Das treibt die amerikanische Rechte in den Wahnsinn. Und nicht nur die Rechte: Liberale Intellektuelle wie Mark Lilla von der Columbia University argumentieren zunehmend überzeugend, dass Identitätspolitik bei den Wählern schlecht ankommt. Die Schwäche der Demokratischen Partei, die kaum mehr sei als ein Amalgam einer Unzahl identitätsbasierter Gruppen, so argumentieren sie, könne durchaus für die Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 verantwortlich sein.

Das Problem ist, dass einige amerikanische Kritiker der Identitätspolitik annehmen, dass es tatsächlich so etwas wie eine identitätsfreie Politik gibt. Doch ein rascher Blick in Länder weltweit legt genau das Gegenteil nahe: Was Brexit-Anhänger, russische Nationalisten und islamische Fundamentalisten gemein haben, ist, dass sich bei ihnen Politik komplett um die Identität dreht. Und was ist die enorme Gegenreaktion gegen die Einwanderung wenn nicht die Geltendmachung einer Identität gegenüber anderen? Je stärker die Wirtschaftsglobalisierung, desto stärker wird die Politik überall auf der Welt durch sehr lokale Identitäten bestimmt.

Warum ist dies besorgniserregend? Und was lässt sich dagegen tun?

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