Kyotos falsche Prioritäten

Wenn am 16. Februar das Kyoto-Protokoll in Kraft tritt, werden sich die Klimaschützer weltweit selbst gratulieren: Um Gutes zu tun, haben sie das Zustandekommen des teuersten Vertrages aller Zeiten gesichert. Es gelang ihnen, die globale Erwärmung zu einem zentralen moralischen Test unserer Zeit zu machen. Das war falsch.

Die globale Erwärmung ist ein Faktum und wird durch Kohlendioxidemissionen (CO2) hervorgerufen. Allerdings zeigen vorhandene Klimamodelle, dass wir wenig dagegen unternehmen können. Selbst wenn alle Länder dieser Welt (einschließlich der Vereinigten Staaten) das Kyoto-Protokoll annehmen und sich das ganze nächste Jahrhundert daran halten, wäre die dadurch hervorgerufene Veränderung kaum messbar sein und die Erwärmung würde sich um magere sechs Jahre auf das Jahr 2100 verschieben. Die dabei entstehenden Kosten betragen aber jährlich mindestens 150 Milliarden Dollar.

Die globale Erwärmung wird vor allem die Entwicklungsländer treffen, weil sie ärmer sind und daher weniger gut mit dem Klimawandel umgehen können. Allerdings erwartet man selbst in den pessimistischsten Prognosen der UNO, dass um das Jahr 2100 ein durchschnittlicher Einwohner in den Entwicklungsländern reicher sein wird als heute und daher bessere Möglichkeiten haben wird, mit den Veränderungen fertig zu werden.

Kyoto ist daher im Grunde eine kostspielige Methode in ferner Zukunft für viel reichere Menschen wenig zu erreichen. Wir müssen uns fragen, ob das unsere oberste Priorität sein sollte.

Gewiss, in der besten aller Welten müssten wir nicht zwischen Prioritäten wählen. Wir könnten alles tun. Wir könnten den Krieg gegen den Hunger gewinnen, Konflikte beenden, übertragbare Krankheiten eindämmen, für sauberes Trinkwasser sorgen, die Bildung verbessern und dem Klimawandel Einhalt gebieten. Wir aber können nicht alles machen und daher müssen wir uns die schwierige Frage stellen: Was sollen wir zuerst machen?

Einige der führenden Ökonomen der Welt – einschließlich dreier Nobelpreisträger – beantworteten diese Frage im Mai letzten Jahres im Rahmen des Kopenhagen-Konsens. Sie befanden, dass HIV/AIDS, Hunger, der Freihandel und Malaria die obersten Prioritäten auf der Welt zu sein hätten. In diesen Bereichen können wir um unser Geld am meisten Gutes tun. Eilige Maßnahmen gegen den Klimawandel stellte man an das untere Ende der Liste. Das Gremium bezeichnete diese Projekte – einschließlich des Kyoto-Protokolls – als „schlechte Projekte“, weil sie mehr kosten, als ihr Nutzen rechtfertigen würde.

Subscribe to PS Digital
PS_Digital_1333x1000_Intro-Offer1

Subscribe to PS Digital

Access every new PS commentary, our entire On Point suite of subscriber-exclusive content – including Longer Reads, Insider Interviews, Big Picture/Big Question, and Say More – and the full PS archive.

Subscribe Now

Nachdem die ökonomischen Gesichtspunkte des Klimawandels immer offener zu Tage treten, werden die Warnungen der Klimaschützer immer schriller. So meint beispielsweise der Vorsitzende der UNO-Klimabehörde: „Wir setzen die Überlebensfähigkeit der Menschheit aufs Spiel.“

Solche Kommentare taugen zwar für Schlagzeilen, aber sie sind Unsinn. Zum Beispiel:

· Vor kurzem warnten einige Teilnehmer bei einer Konferenz im britischen Exeter vor einer 50%-Chance, dass der Golfstrom innerhalb eines Jahrhunderts zusammenbrechen könnte. Ein derartiges Szenario macht sich gut in einem Film wie „Der Tag danach“, aber in der Realität ist es unbegründet. Ein Vortragender auf der Konferenz brachte es folgendermaßen auf den Punkt: „Keines der Modelle zeigt einen totalen Zusammenbruch der Strömung oder eine Netto-Abkühlung über den Landmassen. Daher ist ein Zusammenbruch im 21. Jahrhundert als unwahrscheinlich anzusehen.“

· Kürzlich behauptete eine Koalition bedeutender Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, dass sich Malaria in einer wärmeren Welt vermehrt ausbreiten würde. Theoretisch wäre das zwar möglich, aber dabei lässt man außer Acht, dass Malaria mit schlechter Infrastruktur und ungenügender Gesundheitsversorgung zusammenhängt. Tatsächlich war Malaria in der Kälteperiode zwischen 1500 und 1800 eine in Europa, den USA und bis weit über den Polarkreis hinauf weit verbreitete Krankheit. Die Malariainfektionen verschwanden aber nicht, weil es kälter wurde (eigentlich wurde es wärmer), sondern weil Europa und die USA reich wurden und das Problem bekämpfen konnten. Mit der Zunahme des Wohlstandes in den Entwicklungsländern in diesem Jahrhundert werden auch die Malariafälle eher weniger als mehr werden.

· Man erzählt uns, der Meeresspiegel werde ansteigen – in manchen Prognosen um ungefähr 50 Zentimeter bis zum Jahr 2100. Das ist richtig und in tief liegenden Ländern wie Bangladesh wird das zweifellos zu Problemen führen. Aber die Alarmisten vergessen dabei zu erwähnen, dass der Meeresspiegel auch im 20. Jahrhundert um 10-25 Zentimeter anstieg. Hat das jemand bemerkt? Der Anstieg im 21. Jahrhundert wird stärker ausfallen und sollte nicht verniedlicht werden, aber der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaveränderungen schätzt die Gesamtkosten für Adaptierungen auf rund 0,1 % des BIP.

Dieses „Ende-der-Zivilisation-Argument“ ist für eine ernsthafte öffentliche Debatte kontraproduktiv. Es lässt uns glauben, dass wir nur eine Wahlmöglichkeit hätten. Doch in Wirklichkeit können wir den Klimawandel entweder zu unserer obersten Priorität machen oder wir entscheiden uns, zuerst noch viel anderes Nutzbringendes zu bewirken.

Das heißt nicht, einem Laissez-faire-Stil das Wort zu reden. Davon kann keine Rede sein. In Haiti starben nach den jüngsten Wirbelstürmen Tausende Menschen, aber nicht in Florida, weil die Haitianer arm sind und sich keine vorbeugenden Maßnahmen leisten können. Diesen Teufelskreis der Armut zu durchbrechen, indem man die vordringlichsten Probleme wie Krankheiten, Hunger und verschmutztes Trinkwasser in Angriff nimmt, würde nicht nur viel offensichtlich Gutes bewirken, sondern die Menschen auch weniger anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels machen.

Wir leben in einer Welt begrenzter Ressourcen. Wenn wir uns daher manchen Fragen vermehrt zuwenden, bedeutet das automatisch weniger Aufmerksamkeit für andere Themen. Wenn wir eine moralische Verpflichtung haben, dann die, jeden Dollar so nutzbringend wie möglich zu investieren. Für die Umsetzung des Kyoto-Protokolls wird die Welt in den nächsten einhundert Jahren 150 Milliarden Dollar pro Jahr für wenig Nutzbringendes ausgeben. Im Gegensatz dazu schätzt die UNO, dass man mit der Hälfte dieses Betrages jedem einzelnen Menschen auf dieser Welt sauberes Wasser, Abwassersysteme, eine grundlegende Gesundheitsversorgung und Bildung zur Verfügung stellen kann. Was ist da besser?

Die globale Erwärmung ist wirklich ein moralischer Test unserer Zeit, aber nicht in der Art wie sich das seine Proponenten vorstellen. Wir müssen von der fixen Idee der globalen Erwärmung loskommen und beginnen, uns zuerst um dringlichere und leichter zu beeinflussende Probleme zu kümmern.

https://prosyn.org/fsHWUmSde