Obama with Susan Rice_Official White House Photo by Pete Souza White House Photo/Pete Souza

Obama der Pragmatiker

CAMBRIDGE – In seiner Ansprache vor dem Abschlussjahrgang der US-Militärakademie in West Point im letzten Monat stellte Präsident Barack Obama fest, dass manche der kostspieligsten Fehler Amerikas seit dem Zweiten Weltkrieg nicht durch Zurückhaltung passierten, sondern aufgrund der „Bereitschaft, sich in Militärabenteuer zu stürzen, ohne die Folgen zu bedenken.“ Obwohl Obama recht haben mag, trug die Rede wenig zur Besänftigung der Kritiker bei, die ihm insbesondere im Hinblick auf Syrien und die Ukraine Passivität und Schwäche vorwerfen.

Diese Frustration kann teilweise auf die unglaublich hohen Erwartungen zurückgeführt werden, die Obama in seinen frühen Reden weckte, in denen er die Wähler mit Versprechungen eines systemischen Wandels inspirierte. Anders als die meisten Präsidentschaftskandidaten behielt Obama diese Rhetorik vom Wandel auch bei, nachdem sie ihm 2008 zum Sieg bei den Präsidentenwahlen verholfen hatte. Tatsächlich weckte eine Reihe von Reden in seinem ersten Amtsjahr noch höhere Erwartungen, als er das Ziel einer atomwaffenfreien Welt formulierte sowie versprach, Amerikas Ansatz im Nahen und Mittleren Osten umzukrempeln und sich dazu bekannte, die „Geschichte in Richtung Gerechtigkeit zu lenken.”

Von Politikern der Demokraten wird oft gesagt, dass ihr Wahlkampf von Poesie geprägt sei, ihre Regierungszeit aber dann von Prosa. Allerdings besteht kein Grund zu glauben, dass Obama hinsichtlich seiner Ziele unaufrichtig war. Seine Vision konnte der unbequemen und schwierigen Welt, mit der er sich konfrontiert sah, einfach nicht standhalten; daher musste er sich anpassen. Nach nur einem Jahr im Amt wurde aus dem Mann, der transformationale Führung versprochen hatte, ein „transaktionaler“ Führungspolitiker – durch und durch pragmatisch. Und trotz der Äußerungen seiner Kritiker war das eine positive Entwicklung.

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