Die neuen Aufgaben der alten Welt

CAMBRIDGE – Chinas Aufstieg hat im Westen viele Fragen aufgeworfen, wobei man sich mancherorts Gedanken darüber macht, ob China die die globale Führungsrolle eines angeschlagenen Europas an sich reißen wird. Ein Kolumnist formulierte es so: „Europäische Regierungen können in Ostasien nicht viel ausrichten, außer als Marketingmanager für die Firmen ihrer Länder zu agieren.“ Da Europa weder über das diplomatische Gewicht noch über die militärische Stärke verfügt, um in der Region Eindruck zu hinterlassen, wäre es seiner Ansicht nach besser, Europa würde die Schwerarbeit den Vereinigten Staaten überlassen. Das muss allerdings nicht sein.   

Die Auswirkungen des chinesischen Aufstiegs sind für Europa weitreichend, angefangen bei der „Hinwendung“ der Vereinigten Staaten nach Asien. Nach über 40 Jahren als oberste Priorität der USA beginnt Europa in den Augen der politischen Entscheidungsträger Amerikas seine privilegierte Stellung einzubüßen. Außerdem führt Europas Verkauf von High-Tech-Gütern mit doppeltem Verwendungszweck zwangsläufig zu Spannungen, da dies Amerikas Sicherheitsaufgaben in Asien erschwert.

Gleichwohl sind die Warnungen, wonach die atlantische Partnerschaft bröckelt, unverhältnismäßig pessimistisch. Bezeichnenderweise ersetzte US-Präsident Barack Obamas Administration den Ausdruck „Hinwendung“ – der auch eine Abwendung impliziert – durch das Wort „Neugewichtung“. Diese Änderung ist Ausdruck der Erkenntnis, dass Chinas zunehmende wirtschaftliche Vormachtstellung der Bedeutung der Europäischen Union keinen Abbruch tut, die noch immer die weltgrößte wirtschaftliche Einheit sowie eine treibende Kraft für wirtschaftliche Innovation darstellt, von Werten wie dem Schutz der Menschenrechte ganz zu schweigen. 

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