jeffrey D. Sachs, Climate change Negotiations, global-warming, technological problem AND  CO2 emissions,  China and US not ready to sacrifice millions of jobs Stewart Innes/ZumaPress

Klimaverhandlungen und ihre Grenzen

NEW YORK – Wenn die Welt die Klimakrise bewältigen soll, brauchen wir einen neuen Ansatz. Gegenwärtig betrachten die Großmächte Klimawandel als Gegenstand von Verhandlungen, in denen vereinbart wird, wer seine CO2-Emissionen (vor allem aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas) verringert. Die Beteiligten erklären sich zu kleinen „Beiträgen“ zur Emissionsverringerung bereit und versuchen die anderen Länder dazu zu bringen, mehr zu tun. So werden etwa die Vereinigten Staaten eine kleine Verringerung ihres CO2-Ausstoßes „hinnehmen“, wenn China dies ebenfalls tut.

Wir sind seit zwei Jahrzehnten in dieser minimalistischen Denkweise der kleinen Schritte gefangen, die in zweierlei Hinsicht falsch ist. Erstens funktioniert sie nicht: CO2-Emissionen sinken nicht, sie steigen. Die weltweite Erdölindustrie hat Hochkonjunktur – sie betreibt Fracking, Bohrungen, erschließt Vorkommen in der Arktis, betreibt Kohlevergasung und errichtet neue Flüssigerdgas-Anlagen. Die Welt ist im Begriff, das Klima und die Systeme, die uns mit Nahrungsmitteln versorgen, mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zu zerstören.

Zweitens ist eine „Dekarbonisierung“, also die Schaffung eines in Produktion und Konsum kohlenstoffarmen Energiesystems, technisch kompliziert. Das eigentliche Problem Amerikas ist nicht die Konkurrenz aus China; es ist die Komplexität der Umstellung einer 17,5 Billionen US-Dollar schweren Wirtschaft von fossilen Energieträgern auf kohlenstoffarme Alternativen. Chinas Problem sind nicht die USA, sondern wie die größte, oder zweitgrößte Volkswirtschaft (je nachdem auf welche Daten man sich stützt) der Welt von ihrer starken Kohleabhängigkeit loskommen soll. Wir haben es also vorwiegend mit technischen Problemen und nicht mit Verhandlungsproblemen zu tun.

Beide Volkswirtschaften könnten zwar dekarbonisieren, wenn sie den Ausstoß drastisch senken, doch weder die USA noch China sind bereit, Millionen von Arbeitsplätzen und Billionen von Dollar dafür zu opfern. Die Frage ist, wie eine Dekarbonisierung erfolgen kann, während die wirtschaftliche Stärke erhalten bleibt. Die Verhandlungsführer bei Klimakonferenzen können diese Frage nicht beantworten, aber Innovatoren wie Elon Musk von Tesla und Wissenschaftler wie Klaus Lackner von der Columbia Universität können es.

Um eine Dekarbonisierung des weltweiten Energiesystems zu erreichen, müssen wir aufhören die riesige und wachsende Menge an Strom, die wir produzieren zu gewinnen, indem wir immer mehr CO2-Emissionen in die Atmosphäre abgeben. Die Umstellung auf eine kohlenstofffreie Transportflotte und eine deutlich höhere Produktion pro Kilowattstunde Energie sind ebenfalls Voraussetzung.

Kohlenstofffreie Stromerzeugung ist in Reichweite. In den Bereichen Solarstrom und Windkraft ist es bereits möglich, aber nicht unbedingt zu dem Zeitpunkt und an dem Ort, wo Bedarf besteht. Wir brauchen Durchbrüche bei der Speicherung dieser diskontinuierlich zur Verfügung stehenden sauberen Energiequellen.

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Kernkraft ist eine weitere wichtige Quelle für CO2-freie Energie und wird auch in Zukunft eine große Rolle spielen müssen, und aus diesem Grund muss das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Sicherheit gestärkt werden. Sogar aus fossilen Energieträgern lässt sich CO2-freie Energie erzeugen, wenn CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CSS) zum Einsatz kommt. Klaus Lackner ist weltweit führend an der Entwicklung neuer CSS-Strategien beteiligt.

Die Elektrifizierung des Verkehrs ist schon bei uns angekommen, und Tesla mit seinen hochentwickelten Elektrofahrzeugen weckt die Phantasie und das Interesse der Öffentlichkeit. Dennoch sind weitere technologische Fortschritte notwendig, um die Kosten für Elektrofahrzeuge zu senken und ihre Zuverlässigkeit und Reichweite zu erhöhen. Elon Musk, der darauf brennt die rasche Weiterentwicklung der Fahrzeuge voranzubringen, hat vergangene Woche Geschichte geschrieben, als er die Patente von Tesla für die Nutzung durch Konkurrenten freigegeben hat.

Auch im Bereich der Energieeffizienz sind technologische Durchbrüche erzielt worden. Neue Gebäudekonzepte setzen deutlich stärker auf Wärmedämmung, natürliche Belüftung und Solarkraft und haben die Kosten für Heizung und Kühlung drastisch reduziert. Fortschritte in der Nanotechnologie bieten Aussicht auf leichtere Baustoffe, für deren Herstellung weitaus weniger Energie benötigt wird und die sowohl Gebäude als auch Fahrzeuge wesentlich energieeffizienter werden lassen.

Die Entscheidung für kohlenstoffarme Energie kann die Welt nur durch eine gemeinsame Anstrengung treffen, nicht durch eine weitere „Wir-gegen-sie-Verhandlung“. Alle Länder brauchen neue, kohlenstoffarme Technologien, von denen viele noch nicht reif für die kommerzielle Anwendung sind. Aus diesem Grund sollten sich die Verhandlungsführer der Klimakonferenzen darauf konzentrieren, wie man gemeinsam daran arbeiten kann, dass technologische Durchbrüche erzielt werden und alle Länder davon profitieren.

Sie sollten sich von anderen Fällen inspirieren lassen, in denen sich Regierungen, Wissenschaftler und die Industrie verbündet haben, um große Veränderungen zu bewirken. Bei der Durchführung des Manhattan Project (zum Bau der Atombombe während des Zweiten Weltkrieges) und bei der ersten Mondlandung hat sich die US-Regierung ein beachtliches technologisches Ziel gesetzt, einen kühnen Zeitplan vorgelegt und die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt, um die Aufgabe erfüllen zu können. In beiden Fällen haben Wissenschaftler und Ingenieure die Projekte pünktlich abgeschlossen.

Die Entwicklung einer Atombombe mag ein unerfreuliches Beispiel sein, es wirft aber dennoch eine wichtige Frage auf: Wenn wir Regierungen und Wissenschaftler auffordern, gemeinsam an Kriegstechnologien zu arbeiten, sollten wir dann nicht mindestens das Gleiche tun, um die Erde vor der Verschmutzung mit Kohlendioxid zu schützen?

Tatsächlich ist der Prozess des „gelenkten technologischen Wandels“, in dem kühne Zielvorgaben gesetzt, Meilensteine definiert und Zeitrahmen vereinbart werden, viel häufiger als den meisten klar ist. Die Revolution der Informationstechnologie, die uns Computer, Smartphones, GPS und viele andere Dinge beschert hat, baute auf Plänen von Regierung und Industrie auf. Der Kartierung des menschlichen Genoms beruhte auf der öffentlichen Förderung eines internationalen Forschungsverbundes – in den letzten Endes auch die Privatwirtschaft einbezogen wurde. Zuletzt haben Regierung und Industrie die Kosten für die Sequenzierung eines einzelnen Genoms in einer gemeinsamen Anstrengung von rund 100 Millionen US-Dollar im Jahr 2001 auf aktuell 1.000 US-Dollar gesenkt. Ein drastisches Ziel zur Kostenreduzierung wurde vereinbart, die Wissenschaftler machten sich an die Arbeit und der anvisierte Durchbruch wurde im festgelegten Zeitrahmen erzielt.

Die Bekämpfung des Klimawandels hängt vom Vertrauen aller Länder ab, dass ihre Konkurrenten es ihnen gleichtun werden. Also ja: Mögen bei den bevorstehenden Klimaschutzverhandlungen gemeinsame Maßnahmen der USA, Chinas, Europas und anderer ausbuchstabiert werden.

Wir sollten jedoch aufhören so zu tun, als handele es sich um ein Pokerspiel und nicht um ein wissenschaftliches und technologisches Puzzle auf höchstem Niveau. Wir brauchen Elon Musk, Klaus Lackner, General Electric, Siemens, Ericsson, Intel, Electricité de France, Huawei, Google, Baidu, Samsung, Apple und andere in Labors, Kraftwerken und Städten auf aller Welt, um die technologischen Durchbrüche erzielen zu können, die die globalen CO2-Emissionen verringern werden.

Es gibt sogar einen Platz am Tisch für ExxonMobil, Chevron, BP, Peabody, Koch Industries und andere Branchenriesen im Öl- und Kohlegeschäft. Wenn sie davon ausgehen, dass ihre Produkte in Zukunft verwendet werden, sollten sie besser dafür sorgen, diese Produkte durch den Einsatz moderner CSS-Technologien sicher zu machen. Der Punkt ist, dass eine gezielte und gründliche Dekarbonisierung eine Aufgabe ist, die alle Interessengruppen, einschließlich der fossilen Brennstoffindustrie, gemeinsam bewältigen müssen. Und um diese Aufgabe bewältigen zu können, müssen wir alle auf der Seite des Überlebens und des Wohlergehens der Menschheit stehen.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow.

https://prosyn.org/bksysc7de