Die Ukraine und die Völkerrechtskrise

NEW YORK – Russlands Vorgehen in der Ukraine stellt eine ernsthafte und gefährliche Verletzung des Völkerrechts dar. Im Jahr 1994 stimmte die Ukraine zu, auf  ihre von der Sowjetunion geerbten Atomwaffen zu verzichten. Im Gegenzug dafür legten die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Russland ein feierliches Bekenntnis ab, die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine zu schützen. Nun hat Russland diese Zusage gebrochen und damit nicht nur der Ukraine geschadet, sondern auch den internationalen rechtlichen Rahmen hinsichtlich des Verbots der nuklearen Weiterverbreitung untergraben. 

Behält Russland seinen Kurs bei - und das scheint in absehbarer Zeit wahrscheinlich -  könnten die weltweiten Folgen durchaus gravierend sein. Die USA und die Europäische Union werden Sanktionen verhängen und damit Russlands Wirtschaft sowie auch die Weltwirtschaft schwächen – und noch mehr Spannungen und Nationalismen schüren. Fehler auf der einen oder anderen Seite könnten in eine zerstörerische Katastrophe münden. Wir müssen uns nur die Spirale aus Hybris und Fehleinschätzung wieder vor Augen führen, die vor genau hundert Jahren zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führte.  

Doch so erschreckend die Krise in der Ukraine auch ist, man darf die allgemeine Missachtung des Völkerrechts in den letzten Jahren nicht übersehen. Ohne die Gefährlichkeit der jüngsten Vorgehensweise Russlands herunterspielen zu wollen, sollten wir doch anmerken, dass diese im Kontext wiederholter Völkerrechtsverletzungen durch die USA, die EU und die NATO erfolgt. Jede derartige Verletzung untergräbt die fragile Struktur des Völkerrechts und birgt die Gefahr, die Welt in einen gesetzlosen Krieg zu stürzen, in dem jeder gegen jeden kämpft.

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