Italiens Rückkehr zur politischen Lähmung

Über ein Jahrzehnt lang wurde Italien mit einem bipolaren politischen System regiert. Die Wähler konnten sich zwischen einer linksgerichteten Koalition und einer rechtsgerichteten Koalition entscheiden. Diejenigen, die von der amtierenden Regierung enttäuscht waren, konnten für die Opposition stimmen. Zudem hatte die Existenz einer lebensfähigen Alternative eine disziplinierende Wirkung auf die Politiker: Es ist kein Zufall, dass Silvio Berlusconis Regierung ihre gesamte Wahlperiode im Amt blieb.

Dies steht in krassem Gegensatz zu Italiens politischer Tradition. Während der gesamten Nachkriegszeit bis in die frühen 1990er hinein hielten sich die italienischen Regierungen im Durchschnitt weniger als ein Jahr. Die Wähler konnten nicht zwischen dem Amtsinhaber und der Opposition wählen, da die ganze Zeit dieselben Parteien der Mitte im Amt waren. Regierungskrisen waren lediglich eine Chance, Schlüsselpositionen im Kabinett neu zu verteilen oder die Fraktion des Ministerpräsidenten auszuwechseln.

Jedoch besteht jetzt die große Gefahr, dass die italienischen Politiker zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren. Dies mag angesichts der Feindschaft zwischen Romano Prodi und Silvio Berlusconi während des Wahlkampfs merkwürdig erscheinen. Doch spiegelt diese Feindschaft sowohl die Personalisierung der Politik wider, die Berlusconi erreichte, als auch eine institutionelle Eigenheit, die er abgeschafft hat. Als eine ihrer letzten Amtshandlungen ersetzte seine Regierung das Mehrheitswahlrecht, das 1993 eingeführt worden war, durch das Verhältniswahlrecht. Das neue Wahlsystem verändert die Anreize für Politiker und könnte eine Rückkehr zu wechselnden Koalitionen und instabilen Regierungen einleiten. Dies wäre noch schneller der Fall, wenn sich Berlusconi – was wahrscheinlich ist – in der kommenden Wahlperiode aus der Politik zurückzieht.

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