Hoffer and Van der Bellen Jan Hetfleisch/Stringer

Der Dezembertag der Abrechnung in Europa

WIEN – Während in großen Teilen der Europäischen Union angesichts eines möglichen Sieges der Rechtsaußen-Parteichefin Marine Le Pen bei der französischen Präsidentenwahl im nächsten Mai offenbar Panik um sich greift, steht die nächste Bewährungsprobe der EU schon viel früher an. Am Sonntag werden die Italiener in einem Referendum über Verfassungsreformen abstimmen und die Österreicher werden ihren nächsten Präsidenten wählen. Beide Urnengänge könnten enorme Auswirkungen jenseits der jeweiligen Ländergrenzen haben.

In Italien geriet das bevorstehende Plebiszit zu einer Vertrauensabstimmung über Ministerpräsident Matteo Renzi, der für den Fall des Scheiterns dieser Reformen seinen Rücktritt ankündigte. Jüngsten Umfragen zufolge könnte Renzi gezwungen sein, diese Ankündigung in die Tat umzusetzen, womit möglicherweise auch das Ende der reformistischen Sozialdemokratie in Italien – und darüber hinaus – gekommen wäre. In Österreich treffen die Wähler ihre Entscheidung zwischen einem proeuropäischen und einem, ähnlich wie Le Pen aus der nationalistischen Ecke stammenden europafeindlichen Kandidaten, Norbert Hofer von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Ein Sieg Hofers könnte Le Pen durchaus Aufwind verleihen.

Die Verfassungsänderungen, die Renzis Ja-Kampagne von den Wählern absegnen lassen will, würden einen Teil des Vermächtnisses seines Vorgängers Silvio Berlusconi rückgängig machen – eines Vermächtnisses, das als Paradebeispiel für den Schaden dient, den Rechtspopulismus in einem Land anrichten kann. Unter anderem veränderte Berlusconi das politische System in Italien in einer Weise, die es der Linken unmöglich macht, jemals wieder in vollem Umfang an die Macht zu gelangen und sämtliche möglicherweise gegen Berlusconi eingebrachten Strafanträge blockiert.

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