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Der IWF ist bei Kapitalkontrollen noch immer nicht auf dem Stand der Zeit

GENF: Das überarbeitete Regelwerk des Internationalen Währungsfonds zur Steuerung grenzübergreifender Finanzströme, das im vergangenen Monat vom Exekutivdirektorium des IWF verabschiedet wurde, weitet die Umstände aus, unter denen Länder Kapitalzuflüsse beschränken können. Leider schränkt er die Länder zugleich übermäßig in ihrer Handlungsfähigkeit ein und versäumt es, sich mit den unzähligen realweltlichen Kontexten auseinanderzusetzen, in denen die angebotenen IWF-Ratschläge angemessen bzw. unangemessen sind. Während also volatile Kapitalflüsse bereits eine laufende Herausforderung für viele Schwellen- und Entwicklungsländer darstellen, verringert das Regelwerk die Optionen dieser Länder zum Erreichen ihrer sozialen Ziele und könnte die Weltwirtschaft letztlich instabiler machen.

Laut dem vorherigen, 2012 verabschiedeten, als „Institutional View“ (IV) bezeichneten Regelwerk des IWF waren Kontrollen in Bezug auf Kapitalabflüsse nur dann legitim, wenn sich ein Land in der Krise befand, und Kontrollen in Bezug auf Kapitalzuflüsse sollten nur als letztes Mittel genutzt werden, wenn ein Land eine Flutwelle an ausländischem Geld erlebte. Der IV war ein politischer Kompromiss. Er spiegelte tiefe Spannungen wider zwischen jenen IWF-Mitgliedstaaten (darunter einigen seiner Mitglieder mit den größten Kapitalanteilen), die eine uneingeschränkte Liberalisierung des Kapitalverkehrs befürworteten, und jenen (darunter vielen Schwellen- und Entwicklungsländern), die den Segen des IWF für politische Maßnahmen zur Abmilderung der Volatilität anstrebten.

Einige Länder lehnten den IV nicht deshalb ab, weil sie ihm inhaltlich nicht zustimmten, sondern weil sie ihn als „Überhebung“ betrachteten. Sie machten sich Sorgen, dass der IWF seinen durch seinen Gründungsvertrag (die „Articles of Agreement“), der den Ländern erhebliche Handlungsspielräume bei Maßnahmen zur Kapitalkontrolle einräumte, festgelegten Auftrag überschritt und dass ein künftiges IWF-Direktorium plötzlich Kurs ändern und versuchen könnte, diese Handlungsspielräume zu beschneiden.

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