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Ist der Stakeholder-Kapitalismus wirklich wieder da?

NEW YORK – Seit vier Jahrzehnten besagt die vorherrschende Doktrin in den USA, dass Aktiengesellschaften den Shareholder-Value – d. h. Gewinne und Aktienkurse – hier und jetzt komme was wolle maximieren sollten, egal welche Folgen das für Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und Gemeinwesen hat. Daher hat die Erklärung zugunsten eines Stakeholder-Kapitalismus, die in diesem Monat von praktisch allen Mitgliedern des US Business Roundtable unterzeichnet wurde, ziemliche Aufregung verursacht. Schließlich sagen hier die CEOs der mächtigsten Konzerne Amerikas den Amerikanern und der Welt, dass es im Geschäftsleben um mehr geht als Profit. Das ist eine ziemliche Kehrtwende. Oder vielleicht doch nicht?

Der Ideologe der freien Marktwirtschaft und mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom Milton Friedman war nicht nur als Verbreiter der Doktrin vom Primat der Aktionäre einflussreich, sondern auch in Bezug auf deren Kodifizierung innerhalb der US-Gesetzgebung. Er ging so weit, zu behaupten: „Die Unternehmen haben eine und nur eine gesellschaftliche Verantwortung: den Einsatz ihrer Ressourcen und die Geschäftstätigkeit mit dem Ziel der Gewinnsteigerung.“

Die Ironie dabei war, dass Sandy Grossman und ich Ende der 1970er Jahre, kurz nachdem Friedman diese Ideen verbreitete und etwa zur selben Zeit, als sie populär wurden und dann – so als beruhten sie auf solider wirtschaftlicher Theorie – in den Gesetzen zur Unternehmensführung ihren Niederschlag fanden, in einer Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen zeigten, dass der Shareholder-Kapitalismus die gesellschaftliche Wohlfahrt eben nicht maximiert.

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