Heiße Steine

CANBERRA: Fragen Sie einen Stromversorgungsingenieur nach erneuerbarer Energie, und er wird Ihnen vermutlich erzählen, dass sie keinen „Grundlaststrom“ liefert. Anders gesagt, man kann sich nicht darauf verlassen, mit erneuerbarer Energie täglich rund um die Uhr mit Strom versorgt zu werden: Manchmal fehlt der Wind, der die Windräder oben auf dem Hügel antreibt. Solaranlagen werden des Nachts nicht von der Sonne beschienen, und selbst Strom aus Wasserkraft kann knapp werden, wenn der Regen ausbleibt.

Das von Natur aus erratische Verhalten der wichtigsten Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien stellt die Planer von Stromversorgungssystemen vor ernste Probleme. Es setzt der Menge des durch diese Arten von erneuerbarer Energie produzierten Stroms, der weltweit in nützlicher Weise in die Stromnetze eingespeist werden kann, Grenzen. Schließlich erwarten die Verbraucher, dass immer Strom zur Verfügung steht.

Die technische Lösung besteht darin, als eine wichtige Komponente des Stromerzeugungsmix eine große Menge zuverlässigen Grundlaststroms vorzuhalten und diesen durch „Spitzenstrom“ zu ergänzen, der bei Bedarf ins Netz eingespeichert werden kann. Diese Spitzenstromkapazitäten beruhen in einigen Ländern auf Strom aus Wasserkraft, in der Regel jedoch auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Gas, Diesel oder Heizöl.

Auch der Grundlaststrom basiert überwiegend auf fossilen Brennstoffen: Allein etwa 39% der weltweiten Stromproduktion beruhen auf der Verbrennung von Kohle. In einigen Ländern wird die Nuklearenergie als die Antwort angesehen, doch die weltweiten Vorkommen an hochwertigen Nuklearbrennstoffen erscheinen begrenzt, und die langfristigen Kosten für die Lagerung von Atommüll und die Außerdienststellung der Kraftwerke sind hoch.

Die Herausforderung ist daher, unsere aktuelle Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Brennstoffen im Bereich des Grundlaststroms zu verringern. Die Antwort könnte direkt unter unseren Füßen liegen.

Die Erde ist ein außergewöhnlich heißer Planet. Ihr 6000 Kilometer unter der Erdoberfläche liegender Kern ist so heiß wie die Oberfläche der Sonne. Doch selbst in geringen Tiefen reichen die Temperaturen häufig zur Stromerzeugung aus. Diese „konventionelle“ geothermische Energie wird seit über 100 Jahren für eine zuverlässige Grundlastversorgung genutzt und wird heute in vielen Ländern eingesetzt, u.a. in Italien, Island, Japan, Neuseeland und im Westen der USA.

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Die Technologie ist bewährt, und zuverlässige Stromerzeugungskapazitäten von mehr als 9000 Megawatt sind bereits vorhanden. Allerdings erfordert konventionelle geothermische Stromerzeugung eine Quelle großer Mengen an Dampf oder heißem Wasser, und derartige Quellen gibt es in der Regel nur in vulkanischen Regionen, was den Einsatz dieser Technologie in weiten Teilen der Welt ausschließt.

Deutlich verlockender, was den menschlichen Bedarf an weithin verfügbaren sauberem Grundlaststrom angeht, ist die nicht konventionelle Nutzung der im heißen Gestein nur wenige Kilometer unter der Erdoberfläche vorhandenen nützlichen geothermischen Energie. Ohne natürlichen Dampf oder heißes Wasser jedoch, die diese Energie an die Oberfläche bringen können, bedarf es einer technischen Lösung, und während der letzten 35 Jahre wurden weltweit mehr als 600 Millionen Dollar dafür ausgegeben, eine solche auszuarbeiten.

Das Konzept ist verführerisch einfach: Man bohrt mindestens zwei Bohrlöcher von 5 km Tiefe, lässt kaltes Wasser in eines davon laufen, führt es durch das heiße Gestein und bringt es dann über das zweite zurück an die Oberfläche, wo ihm in einem Kraftwerk die Energie entzogen wird. Das so gekühlte Wasser wird dann wieder in den ersten Schacht eingeführt und erneut durch den Untergrund geführt. An der Oberfläche wird dem Wasser nur die Hitze entzogen; alles andere, was nach oben gespült wird, verbleibt im Wasser, sodass Abfall vermieden wird.

Die langfristige Rolle des geothermischen HDR-Verfahrens freilich wird durch wirtschaftliche Aspekte bestimmt werden, denn das Bohren tiefer Bohrlöcher ist teuer, und die Kosten dafür fallen an, bevor die Kraftwerke die Stromerzeugung aufnehmen können. Je weniger tief die Hitzequellen liegen und je geringer die Kapitalkosten sind, desto wettbewerbsfähiger wird ein HRD-Projekt. Auch die steigenden Kosten von fossilen und spaltbaren Brennstoffen erhöhen die Überzeugungskraft des HDR-Verfahrens, da die langfristigen wirtschaftlichen Gegebenheiten geothermischen Stroms de facto von den Schwankungen bei den Brennstoffpreisen unabhängig sind.

Lagerstätten von heißem, trockenem Gestein sind häufig, und große Wärmemengen sind vielerorts zum Greifen nah. Doch die wissenschaftlichen und technischen Probleme des HDR-Verfahrens sind schwierig, und erst jetzt sind die ersten Kraftwerke in der Entwicklung. Ein kleines Kraftwerk wird derzeit in Landau in Deutschland betrieben, und weitere befinden sich in Frankreich und Australien im Bau.

Diese ersten Kraftwerke werden die betrieblichen und finanziellen Leistungshistorien entwickeln, die notwendig sind, bevor die geothermische HDR-Energie sich auf das weltweite Energieangebot auswirken kann. Die technische Umgestaltung der Stromsysteme der Menschheit wird unabhängig von dem dabei eingesetzten Technologiemix ein teures Unterfangen, und die ausgewählten Systeme müssen zuverlässig und weithin verfügbar sein.

Der Weg hin zur geothermischen HDR-Energie war lang und teuer, doch wie bei allen neuen Technologien mussten zunächst die grundlegenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten abgeschlossen werden, bevor die kommerzielle Entwicklung folgen konnte. Nun, da Kraftwerke gebaut werden, sieht es gut aus für den weit verbreiteten Einsatz geothermischer Energie zur Erzeugung von sauberem, emissionsfreiem Grundlaststrom.

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