Die Geschichte gegen Europa

PRINCETON – Geschichte ist wichtig, aber auf unterschiedliche Weisen. Mancherorts und für manche Menschen bedeutet sie endlose Konflikte, die von enormen geopolitischen Kräften bestimmt werden: Vor 400 Jahren ist dort dasselbe wie gestern. Andernorts und für andere Menschen legt die Geschichte eine Notwendigkeit nahe, Wege zu finden, um uralten Zwängen und überholten Vorurteilen zu entkommen. Es ist dieser Zwiespalt, der den derzeit ablaufenden geistigen Kampf in und um Europa bestimmt.

Angesichts des 100. Jahrestags des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges sind Dutzende neuer Analysen über den „Krieg zur Beendigung aller Kriege“ herausgekommen. Und es ist verführerisch, moderne Parallelen zur Selbstzufriedenheit des imperialen Europas zu sehen, insbesondere zu dessen festem Glauben, die Welt sei so vernetzt und wohlhabend, dass ein Krieg undenkbar wäre. Heute könnten trotz der angeblich zivilisierenden Effekte globaler Lieferketten Pulverfässer wie Syrien oder das Südchinesische Meer die Welt zum Explodieren bringen – ganz so, wie der bosnische Konflikt es 1914 tat.

Zugleich waren die Reflexionen über das Erbe des Ersten Weltkrieges ein Anlass, die Mentalitäten jener Ära zu neuem Leben zu erwecken. In Großbritannien hat Bildungsminister Michael Gove jüngst eine Polemik gegen jene Historiker herausgegeben, die die Sinnlosigkeit des Krieges betonen, und ihn als „gerechten Krieg“ bezeichnet, der sich gegen den „rücksichtslosen Sozialdarwinismus der deutschen Eliten“ gerichtet habe. Dies nimmt sich wie eine kaum verschleierte Anspielung auf die Machtkämpfe im heutigen Europa aus.

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