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Die politische Logik eines harten Brexit

PARIS – Etwas mehr als drei Monate nach der britischen Entscheidung im Juni, die Europäische Union zu verlassen, gerät die Brexit-Politik in Großbritannien außer Kontrolle. Eine beinahe revolutionäre – und überaus unbritische – Dynamik greift um sich und, wie die britische Premierministerin Theresa May in ihrer „Klein-England“-Rede auf dem Parteitag der Konservativen Partei diesen Monat andeutete, steuert Großbritannien auf „harten Brexit“ zu.

Eine derartige Entwicklung würde im Widerspruch zur öffentlichen Meinung in Großbritannien stehen, die hinsichtlich der Frage eines vollständigen Bruchs mit der EU nach wie vor durchaus gemäßigt ist. Laut einer im Juli durchgeführten BBC/ComRes-Umfrage betrachteten 66 Prozent der Befragten „die Beibehaltung des Zugangs zum Binnenmarkt“ für wichtiger als die Einschränkung der Freizügigkeit von Unionsbürgern. Eine im gleichen Monat durchgeführte ICM-Umfrage ergab, dass nur 10 Prozent der Befragten die Beendigung der Freizügigkeit für wichtiger hielten als die Aufrechterhaltung des Zugangs zum Binnenmarkt, während 30 Prozent beiden Fragen die gleiche Bedeutung beimaßen und 38 Prozent die Aufrechterhaltung des vollständigen Zugangs zum Binnenmarkt als Priorität einstuften.

Diese Ergebnisse werden nur diejenigen überraschen, die an das Narrativ glauben, wonach der Westen mit einer umfassenden fremdenfeindlichen Revolte gegen die Eliten konfrontiert ist.  Im „Austritts-Lager“ befanden sich bestimmt viele Befürworter eines harten Brexits, deren primäre Motivation in der Beendigung der Freizügigkeit bestand, aber es gehörten auch Personen dazu, die Boris Johnson, dem ehemaligen Londoner Bürgermeister und derzeitigen Außenminister glaubten, als er versprach (wie er es jetzt noch immer tut), dass Großbritannien auf zwei Hochzeiten tanzen könne. 

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