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Deutschlands Patriotismus-Paradox

BERLIN – Während Deutschland sich auf die Bundestagswahl im September vorbereitet, fragen sich viele, was als nächstes kommen wird. Unter der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich Deutschland zu einer „unverzichtbaren Nation” in Europa und innerhalb der regelbasierten internationalen Ordnung im weiteren Sinne entwickelt. Der Konsens ist, dass sie von jemandem abgelöst werden wird, der für Fortbestand steht. So kandidiert ihr Nachfolger als Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Union, Armin Laschet, denn auch auf einer Kontinuitätsplattform.

Und doch gibt es, während sich Merkel auf den Ruhestand vorbereitet, Anzeichen dafür, dass die Deutschen der traditionellen Rolle ihres Landes innerhalb der Europäischen Union überdrüssig werden. Obwohl keine Gefahr besteht, dass Deutschland die Gemeinschaft verlässt oder in die Hände einer euroskeptischen Partei fällt, zeigen Umfragen im Auftrag des European Council on Foreign Relations (ECFR), dass das Vertrauen der Deutschen in die EU während der COVID-19-Pandemie eingebrochen ist.

In den Jahren 2019 und 2020 äußerten die Deutschen deutlich mehr Vertrauen in das politische System der EU als die französischen und italienischen Befragten. Aber die schlechte Leistung der Europäischen Kommission während der Pandemie scheint ihre Ansicht geändert zu haben. Etwa 55 Prozent der Deutschen denken nun, dass das politische System der EU zerrüttet ist - ein Anstieg von 11 Prozentpunkten seit dem letzten Jahr. Während im November 2020 noch jeder zweite Deutsche glaubte, das System funktioniere, sind es jetzt nur noch 36 Prozent, und 49 Prozent geben an, aufgrund der Impfstoffpolitik „weniger” oder „viel weniger” Vertrauen in die EU zu haben. Rund 33 Prozent der Deutschen sind nun der Meinung, dass die EU-Integration zu weit gegangen ist, im Vergleich zu 23 Prozent im Jahr 2020.

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