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Das Ende deutscher Dominanz und der Wiederaufstieg Frankreichs

LONDON – Auf den ersten Blick scheinen das Ergebnis der Europawahlen im Mai und die anschließende Nominierung des neuen Führungsteams der Europäischen Union Kontinuität und keine Destabilisierung des Blocks zu versprechen. Die nationalistischen Parteien haben bei den Wahlen nicht wesentlich zulegen können, und die großen, für den Status quo stehenden westeuropäischen Mächte wählten anschließend Föderalisten für die EU-Spitzenjobs aus. Insbesondere schien die Wahl Ursula von der Leyens zur nächsten Präsidentin der Europäischen Kommission – als erste Deutsche, die dieses Amt seit einem halben Jahrhundert innehat – Deutschlands anhaltende Dominanz innerhalb Europas zu bestätigen.

Doch weichen Unterströmungen häufig von der Strömung an der Oberfläche ab. Die Geschichte legt nahe, dass Hegemone oft gerade dann die offizielle Führung übernehmen, wenn ihre Macht zurückgeht, und nicht, wenn sie zunimmt. Deutschlands Status als Führungsmacht der EU ist heute durch mehrere Faktoren bedroht – und Frankreich dürfte dabei der Hauptnutznießer sein.

Deutschlands Dominanz beruht bisher auf im Wesentlichen zwei Säulen: scheinbar dauerhaften amerikanischen Verteidigungsgarantien sowie seinen weltweit führenden Industrieunternehmen und seiner Stellung als enormer Nettogläubiger. Nun jedoch, da diese Fundamente zu bröckeln beginnen, könnte die Ära deutscher Dominanz im Schwinden begriffen sein.

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